Angeborene Immunität – Unsere vergessene Stärke

Warum die Covid-19 Epidemie vorbei ist (*) Prof. Dr. Dr. phil. Harald Walach Wir alle sind natürlicherweise immunkompetent und wehren dank unserer unspezifischen, angeborenen Immunität täglich eine ungezählte Menge von viralen und bakteriellen Eindringlingen ab, sowie entartete Zellen in unserem eigenen Körper, aus denen andernfalls Krebs entstehen würde. Diese natürliche, angeborene Immunität schützt die allermeisten Menschen auch vor CoV2. Dies wird gerne in der ganzen Debatte vergessen. Unser Immunsystem – ein kurzer Abriß Unser Immunsystem kann man förmlich als das 6. Sinnesorgan (neben Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken) verstehen. 1-4 Es ist nämlich ein weitverzweigtes, unbewusst operierendes System zum Erkennen von Fremdem, ein Fremdsensor sozusagen. Wann immer in unserem Organismus etwas geschieht, das nicht zu unserer körpereigenen genetischen Konstitution passt, wird es aktiv. Das gilt für eigene entartete Körperzellen, die durch den ständigen Um-, Auf- und Abbau von Zellen in unserem Körper jede Sekunde neu entstehen, und für Eindringlinge von außen. Bei den millionenfachen Replikationsprozessen von Zellen geschieht immer wieder mal ein Übertragungsfehler und entartete Zellen entstehen. Im Normalfall entdeckt das unser Immunsystem sofort und schaltet die Zellen aus. Wäre das nicht so, wären wir alle schon längst an Krebs gestorben, denn solche Entartungen kommen relativ häufig vor. Nur wenn unser Immunsystem versagt, weil es vielleicht durch unterschiedliche Belastungen nicht in optimaler Verfassung ist, entsteht Krebs, oder wenn, in seltenen Fällen, die genetische Veränderung so stark ist, dass das Immunsystem nicht mehr hinterherkommt oder der Krebs schon so gewachsen ist, dass er das Immunsystem austricksen kann. Genauso werden auch dauernd von außen eindringende Keime - Viren, Bakterien, Pilze – kontinuierlich von unserem Immunsystem eliminiert. Nur wenn es in schlechter Verfassung ist oder die Menge und Aggressivität der Eindringlinge zu groß ist, bekommen wir Krankheitssymptome. Meistens orientiert der Körper dann alle Aktivitäten dahingehend, dass das Immunsystem noch etwas effizienter arbeitet: Er erhöht die Temperatur, wodurch die Zellteilungsprozesse, die für das rasche Vermehren von Immunzellen wichtig sind, schneller gehen und das Fremdeiweiß leichter abgetötet wird, weil es mit den höheren Temperaturen schlecht zurechtkommt. Wir bekommen Fieber und ziehen uns zurück. Diese an sich nicht nur normalen, sondern sogar extrem wichtigen Prozesse sind erst in der letzten Zeit durch umfassende Medikalisierung unserer Kultur zu „Krankheiten“ geworden, die bekämpft werden. Nur in den seltensten Fällen muss man Fieber senken, und das dauernde Stören unserer Immunprozesse durch Entzündungshemmer und Fiebersenker ist im Prinzip keine gute Idee. (Typischerweise hatte der berühmte Patient 0, der mit Cov2 in Bayern entdeckt wurde, Entzündungshemmer geschluckt, nachdem er die ersten Symptome entdeckt hatte. 5) Denn im Normalfall weiß unser Immunsystem sehr gut, was es zu tun hat. Nur in Ausnahmefällen und bei schweren klinischen Verläufen muss der überbordende Entzündungsprozess kontrolliert werden, wie etwa bei dem Cytokinsturm, den schwere Covid-19-Verläufe auslösen können. 6,7 Die erste Linie unserer Abwehr ist die sog. natürliche, angeborene, unspezifische Abwehr. Sie reagiert auf alle veränderten Zellen sofort und eliminiert sie. Aktiv dabei sind vor allem Lymphozyten verschiedener Art. Sie erkennen veränderte Zellen und eliminieren sie, entweder indem sie sie gewissermaßen auffressen und dann ausscheiden, oder indem sie Substanzen freisetzen, die diese dann zerstören. Diese Substanzen sind gleichzeitig auch Botenstoffe, die wiederum andere Zellen aktivieren, damit die Immunantwort gestuft weitergetragen wird. Zu den Stoffen, die Immunzellen in der ersten Abwehrlinie verwenden, gehören konstitutives Stickoxid, NO, ein freies Radikal, das durch Bindung an Zellmembranen eine anderen Zelle zerstören kann, aber gleichzeitig auch als Botenstoff fungiert.8

Dazu gehören auch Interferone (IF) oder Tumornekrosefaktor (TNF) und eine Reihe anderer Substanzen, die über Mustererkennungsrezeptoren von verschiedenen Immunzellen aktiviert werden. 9 Im Laufe der letzten Jahre ist klargeworden, wie raffiniert verzweigt dieses Netzwerk von Immunsensoren ist. Das Immunsystem kann nicht nur entartete Zellen, die von einem Virus befallen sind und intern die Vermehrungsmaschinerie des Virus bedienen, an veränderten Oberflächenmolekülen erkennen und dadurch eliminieren. Es kann auch Bruchstücke von Virus-RNA, die innerhalb der Zelle herumschwimmen, entdecken und dadurch schon im Frühstadium eine rasche Antwort lancieren.

Diese sog. unspezfische, oder natürliche, oder angeborene Immunität funktioniert in der Regel blitzschnell und sehr effizient. Das Immunsystem muss dazu den Erreger nicht einmal kennen. Es entdeckt nur fremde Substanz und wird aktiv. Dies gilt auch für die Corona-Viren, die SARS, das „sudden acute respiratory syndrome – plötzliches akutes Atmungsnotsyndrom“, auslösen. Sobald Immunzellen den antiviralen Zustand des Organismus anhand spezifischer Muster erkennen, wird eine effiziente Signalkaskade ausgelöst.7,10 In der Regel führt dies zur Beseitigung der Infektion, noch bevor wir Symptome erleben.

Diese antivirale, unspezifische Immunkompetenz ist so groß, dass die genetische Medizin, die sich gerne solcher RNA-Viren als Vektoren bedient, um neue Gen-Sequenzen in das Genom von Zellen zu schleusen, alle Mühe hat, diese Immunabwehr zu umgehen, und daher scheitern auch sehr viele solcher therapeutischer Versuche an unserem Immunsystem. 11 Allerdings haben Viren im Verlauf ihrer Evolutionsgeschichte auch Mechanismen entwickelt, diese Abwehrstrategien zu umgehen und je nachdem wie gut sie darin sind, sind sie mehr oder weniger stark in der Lage, den Organismus trotz seiner Abwehr zu infizieren. Dann, aber erst dann, tritt der nächste und zweite Zweig der Abwehr in Aktion. Dieser beginnt nun die Mustererkennung von molekularen Mustern, die für den Virus oder das Bakterium typisch sind, voranzutreiben und spezifische Zellen zu entwickeln. Das sind Zellen, die Antikörper produzieren, welche die Eindringlinge binden und auf diese Weise unschädlich bzw. für andere Immunzellen erkennbar machen. Die Produktion von Zellen, die das können und auch von verschiedenen Typen von Antikörpern, braucht allerdings Zeit.

Während die unspezifische Abwehr innerhalb von Minuten aktiv wird, dauert der Prozess der spezifischen Abwehr ein bis mehrere Tage. Danach hat der Organismus in aller Regel Antikörper gebildet, die etwa auf Schleimhäuten anzutreffen sind und dadurch schon beim Erstkontakt virale Antigene aufspüren (Antikörper des Typs IgA), oder im Blut und in der interstiziellen Flüssigkeit zwischen Zellen und in der Lymphe zirkulieren (IgM und IgGAntikörper). Daher kommt es auch, dass bei einem Zweitkontakt mit dem Erreger unser Immunsystem über diese Achse und die dazugehörenden Gedächtniszellen, die solche Antikörper und entsprechende spezifische Immunzellen in großer Zahl rasch bilden können, die Erkrankung gar nicht erst aufkommen lässt, so dass der Erreger keine Chance mehr hat. Auf diese Weise wird durch einen immunologischen Lernprozess über den Lauf der Zeit Immunkompetenz aufgebaut.

Da wir alle schon lange Kontakt mit Corona-Viren hatten, ist es auch denkbar, dass hier nicht nur die unspezifische, sondern sogar die spezifische Abwehr über Kreuzimmunität mit anderen CoronaVirus-Antikörpern greift. Genau das wurde jüngst sogar bestätigt: In gefrorenen Blutproben aus den 80er Jahren, die die Immunität gegen Coronaviren anderen Typs repräsentieren, konnte in 3 von 10 Proben auch eine spezifische Immunität gegen CoV2 nachgewiesen werden, das es damals aber noch nicht gab.12 Das zeigt: Durch Kreuzimmunität können spezifische Antikörper, die ursprünglich gegen andere Corona-Viren gebildet worden sind, durchaus auf dieses neue CoV2 reagieren.

Impfungen versuchen, diesen immunologischen Lernprozess zu imitieren. Obwohl die Lehrmeinung die ist, dass das in den meisten Fällen funktioniert und auch zu einer spezifischen Immunkörperbildung führt, scheint es wohl eher so zu sein, dass dieser Prozess aufgrund der Kontaktnahme des Immunsystems mit einem Antigen, dem Impfstoff, der ja auch viele andere Stoffe enthält, die das Immunsystem provozieren sollen, dessen unspezifische Kompetenz erhöht. Dass Impfungen vor allem die unspezifische Immunität anregen, ist eigentlich schon sehr lange bekannt, wird aber gerne vergessen bzw. unterschlagen 13-16.

Das Immunsystem stärken und Schwächung vermeiden

Was ist die Konsequenz aus alledem? Das wichtigste in solchen Fällen ist daher eigentlich, unsere Immunkompetenz zu stärken und alles zu verhindern, was sie schwächt. Was stärkt unser Immunsystem? Ganz einfach, eigentlich alles was uns guttut: Ausreichend schlafen und gesund essen, Entspannung und soziale Kontakte, vor allem soziale Nähe und Vertrautheit. Interessanterweise führt nämlich die Aktivierung des parasympathischen Systems, durch Entspannung, zu einer Erhöhung der Stickstoffmonoxid-Ausscheidung. 17 Das ist wiederum für unser natürliches Immunsystem wichtig. Den Parasympathikus kann man übrigens auf verschiedene Weise aktivieren. Meditation und aktive Entspannung ist ein Weg. Intimität und soziale Nähe ist ein anderer. Singen ist ein weiterer. Was schwächt unser Immunsystem? Neben pharmakologisch aktiven Immunsuppressiva wie Entzündungshemmern, Alkohol und anderen Substanzen vor allem psychischer Stress, Schlafmangel und Angst. Daher halte ich nach wie vor die Angstkommunikation unserer Regierung, der offiziellen Stellen und der öffentlichen Meinungsmacher für das eklatant Falscheste, was man in einer solchen Situation tun kann. Eigentlich ist dies Körperverletzung. Denn durch psychischen Stress und Angst wird unser Immunsystem kompromittiert. Das sieht man übrigens auch daran, dass social distancing die Anzahl der Todesfälle sogar erhöht und nicht erniedrigt (wir sind gerade dabei eine ausführliche Analyse vorzubereiten und sehen das an den Daten; genaueres folgt in Kürze in der peer-reviewten Literatur).

Das ist auch leicht verständlich: Alte und Kranke sind besonders auf Kontakt angewiesen. Wenn er ihnen verwehrt wird, bricht das, was an Immunkompetenz übrig ist, zusammen und der Erreger breitet sich aus. Angst und Stress aktivieren die sympathische Achse unseres autonomen Nervensystems, das mit Adrenalin und Noradrenalin arbeitet und in der zweiten Stufe mit Cortisol. Vor allem Cortisol ist ein starker Immunosuppressor (weswegen auch das pharmakologisch davon abgeleitete Cortison zu den potentesten Entzündungshemmern gehört). Deswegen ist vor allem langdauernder, chronischer Stress immunologisch problematisch und stört unsere Immunkompetenz. 18 Dazu gehört natürlich auch, dass wir auf die Zufuhr von Nahrungsmitteln achten, die dem Organismus dabei helfen, Radikalstress zu puffern, wie Obst und Gemüse, Früchte aller Art, Salate und vor allem eine bunte Folge von Speisen. Aber wesentlich wichtiger scheint mir die psychische Komponente zu sein.

Schon Cannon, der Alt meister der Stressforschung, hat darauf hingewiesen, wie bei den australischen Aborigines jemand durch Verfluchung aufgrund einer Übertretung eines Tabus sterben kann. Einfach so. Aus Stress um das Wissen, ausgestoßen worden zu sein.19 Das ist die Grundlage für den NoceboEffekt, den Schaden, der die Erwartung eines Übels oder eine angstmachende Sinnstruktur anrichten kann. Genau das sehen wir im Moment reihenweise. Ich hätte nicht gedacht, dass eine aufgeklärte Gesellschaft, der so viel an Wissenschafliegt, so töricht sein kann und wesentliche wissenschaftliche Befunde ignoriert.

Falscher Zahlenfetischismus

Nun wird ja dann gerne, vor allem von Journalisten, aber auch von Politikern, auf die „Zahlen“ verwiesen. Allerdings ist das Herumwerfen mit absoluten Zahlen einfach nur dumm und hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Der Chirurg Hontschik nennt es sehr treffend „Zahlenschrott“ (http://www.medizinhuman.de/rundschau.htm). Dessen machen sich im Übrigen auch hochdekorierte und oft in den Medien erscheinende Wissenschaftler schuldig. Das liegt daran, dass die Kompetenz zum Umgang mit Zahlen bei Medizinern – Entschuldigung Kollegen, aber das muss mal gesagt sein – meistens relativ niedrig ist, weil deren Ausbildung nur rudimentäre Kenntnisse in Statistik enthält, und das ist bei Virologen nicht viel anders. Hier sind vier Abbildungen, die das illustrieren. Abbildung 1 zeigt alle Covid-19 Fälle in den 40 wichtigsten europäischen und westlichen Ländern incl. China und Japan mit Stand 15.5.2020, entnommen aus der Datenbank des European Centers for Disease Prevention and Control (ECDP). Man sieht die Bilder, die man kennt. Horrende Fallzahlen in den USA, nämlich ca. 1.400.000, mehr als 200.000 Fälle in Russland, Spanien, England, Italien, Brasilien und bald auch in Deutschland. Was dabei vergessen wird: Die Bevölkerungs- und die Testzahlen sind sehr unterschiedlich.

Daher hier zwei weitere Abbildungen: eine, die die gleichen Fallzahlen auf die Anzahl der Bevölkerung standardisiert (pro 100.000 Einwohner; Abb. 2), und eine, die diese Zahlen auf die Testanzahl standardisiert (pro 1.000 Tests; Abb. 3). Bei den test-standardisierten Abbildungen ist Finnland ausgeschlossen, weil es ein Ausreißer ist (denn dort wurden laut den Daten, die wir gefunden haben, nur wenige Tests gemacht, aber das müssen wir erst noch prüfen). Man sieht an Abbildung 2, die die auf 100.000 Einwohner standardisierten Fallzahlen wiedergibt: Plötzlich ist nicht mehr die USA das Land mit den meisten Fällen, sondern das kleine Luxembourg. Außerdem haben noch Belgien, Island, Irland, Spanien und die USA am meisten Fälle pro 100.000 Einwohner, nämlich mehr als 400. Deutschland liegt mit mehr als 200 Fällen je 100.000 Einwohner im Mittelfeld, gleichauf mit Frankreich, Österreich und Kanada. Italien, die Schweiz und England sind mit ca. 350 Fällen pro 100.000 Einwohnern etwa gleichauf und das viel gescholtene Schweden, das sich die generelle Lock-Down-Philosophie nicht zu eigen gemacht hat, liegt mit etwa 290 Fällen pro 100.000 Einwohnern sogar darunter.

Betrachtet man nun Abbildung 3, das die Anzahl der auf 1.000 Tests standardisierten Fälle wiedergibt, sieht man etwas Interessantes: Nicht die üblichen Verdächtigen führen die Liste an, sondern Brasilien, Kroatien, Dänemark, Iran, Holland und Schweden. Sie alle haben mehr als 150 Fälle je 1.000 durchgeführte Tests. Das kann damit zusammenhängen, dass sie weniger Tests gemacht haben und daher mehr Fälle je 1.000 Tests haben. Man sieht sehr deutlich: Die Zahl der absoluten Fälle ist vor allem eines: absolut irreführend. Denn sie hängt nicht nur davon ab, wieviel Fälle es gibt, sondern vor allem auch davon, wieviel getestet wurde.

Es ist also völlig sinnlos, von absoluten Zahlen auszugehen. Da die Teststrategien sehr unterschiedlich sind in verschiedenen Ländern, kann test-standardisierte Zahlen wohl nur über die Zeit innerhalb eines Landes verwenden. Aber diese Standardisierung zeigt zumindest: Das Berichten von Fällen ohne gleichzeitiges Berichten von Testanzahl, wie es bei uns zuletzt wieder das RKI vorgenommen hat, um vor einem Ansteigen der Infektionsgefahr zu warnen, ist wissenschaftlicher Unfug und allenfalls eine gewisse Form der postmodernen Hofastrologie. Denn logischerweise steigen die Infektionszahlen an, wenn man die Testanzahl erhöht. Und wenn man die Testanzahl nicht berücksichtigt, dann kommt man zu den falschen Schlüssen. Deutschland steht also sehr gut da im internationalen Vergleich. „Dank der Maßnahmen“, verkündet die Politik und denken sich viele. Aber dieser Schluss ist falsch.

Neue Daten zeigen:

Unsere natürliche Immunität ist in der Tat stark genug Das sieht man an einer neuen Studie und einer Webpublikation, die diese Daten noch etwas auffrischt.20,21 Die beiden Publikationen führen Modellierungen des Epidemieverlaufs durch, so wie das die allerersten Modelle gemacht haben 22,23. Diese ersten Modelle sind die Basis für die politischen Maßnahmen der Exekutive geworden, weil sie horrende Fallzahlen von bis zu 400.000 Toten und eine Überlastung des Gesundheitssystem durch intensivpflichtige Patienten prophezeit haben. Die neuen Modellierungen 20,21 haben nun natürlich neue Daten, aber vor allem machen sie eines, das die frühen Modelle nicht gemacht haben: Sie nehmen an, dass sich das Virus nicht homogen verbreitet.

Das ist eine technische Formulierung für das, was ich oben diskutiert und beschrieben habe: Sie machen eine Modellannahme dafür, dass Menschen, die eine gute natürliche Immunität haben, nicht empfänglich („suszeptibel“) für das Virus sind und daher nicht erkranken. Sie zeigen: Wenn dieser Modellparameter in das Modell eingerechnet wird und wenn dieser realistisch anhand der vorhandenen Daten modelliert wird, dann werden maximal 7–18 % der Bevölkerung mit Covid-19 krank bzw. werden aktiv infiziert und sind anschließend immun. Das Wichtigste: Dann ist Herdenimmunität erreicht. Und zwar nicht, weil, wie die älteren Modelle annehmen 68–75 % der Bevölkerung die Krankheit durchmachen mussten, sondern weil dann all diejenigen die Krankheit durchmachten, die eben nicht mit dem Virus fertig geworden sind und der Virus im Rest der Bevölkerung keinen Nährboden mehr findet.

Das Modell von Gomes und Kollegen zeigt auch: Eine zweite Welle gibt es nur dann, wenn ein großer Teil der suszeptiblen Bevölkerung durch die Hygiene-Maßnahmen vorher vom Erreger-Kontakt verschont blieb. Wenn man aber davon ausgeht, wie das die Daten aus Schweden nahelegen, dass die Herdenimmunität bereits erreicht ist, weil eben alle empfänglichen Menschen Kontakt hatten, dann gibt es auch keine zweite Welle. Damit lässt sich sehr gut verstehen, warum in ausgewählten und gut untersuchten Kohorten die Infektionsrate etwa bei 5–17 % lag 24,25, und selbst bei den Infizierten nur maximal 19 % symptomatisch sind 26,27. Das war nicht deswegen so, weil die Quarantäne-Maßnahmen ein weiteres Ausbreiten des Erregers verhindert haben, sondern weil bis zum Zeitpunkt, an dem die Infektion offensichtlich wurde, bereits die meisten suszeptiblen Menschen damit in Berührung gekommen sind.

Die immunologisch Kompetenten konnte das Virus nicht krank machen. Das sieht man an folgenden Fakten:

a) Die Latenzzeit vom Erregerkontakt bis zum Beginn von entweder Symptomen oder anderen immunologischen Reaktionen dürfte 2 Wochen betragen; in dieser Zeit ist der Erreger entweder aktiv und unentdeckt, oder das Immunsystem wehrt ihn ab, ohne dass Spuren verbleiben. Währenddessen werden unerkannt relativ viele andere Menschen in Kontakt mit dem Erreger gebracht, bei denen es ähnlich ist. 28

b) Viele Erregerkontakte, auch solche, die serologisch nachweisbar sind, laufen unsymptomatisch ab; 29 in einer jüngst publizierten Studie in einer geschlossenen Dialyseeinheit war das bei 41 % der dort Tätigen der Fall. 30

c) Die Zeitdauer von symptomatischer Auffälligkeit bis zur Registrierung eines Falles in Datenbanken und öffentlichen Berichtssystemen dürfte über die Zeit und Länder hinweg mindestens 10 Tage, eher mehr betragen; das war auf jeden Fall am Anfang in China der Fall 31 und ist auch in Deutschland nicht anders 32.

d) In Schweden ist seit dem 11.4. die Zahl der Neuinfektionen nicht angestiegen, obwohl dort außer freiwilligen Distanzierungen, die durchaus eingehalten werden, keinerlei Lockdown-Maßnahmen in Kraft sind.21

e) In mehreren untersuchten Ländern, darunter USA, Österreich, Israel, Schweden, Italien und Deutschland, ist der Verlauf der Infektion trotz sehr unterschiedlicher politischer Maßnahmen erstaunlich ähnlich. 33

f) Kaum eine Publikation oder Darstellung datiert Verläufe, die aus den öffentlich zugänglichen Datenbanken erstellt werden, um diese ca. 21 Tage zurück, an denen der Erregerkontakt stattgefunden haben muss und die zur Berechnung der Meldeverzögerung eingerechnet werden müssen. Daher passiert überall ein fataler, kaum je bereinigter Fehler:

g) Der Erfolg politischer Maßnahmen wird abgeschätzt am Verlauf der aktuellen Fallerscheinungen. Täte man das, was man tun müsste, nämlich alle Zeitreihen um 2-3 Wochen zurückverlagern, um diese latente Aktivitätszeit des Virus und die Meldeverzögerung abzubilden, würde man rasch sehen: Die Infektion hat ihre eigene Dynamik, die unabhängig von Public Health Maßnahmen voranschreitet und von selber zurückgeht 34.

h) Eine Modellierung der Zeitverläufe anhand der wesentlich robusteren Todesfalldaten zeigt, dass die Verläufe in allen Fällen bereits vor Einsetzen irgendwelcher politischer Maßnahmen zurückgingen.35 Daher sind auch Behauptungen, selbst wenn sie mit raffinierten Modellen untermauert werden, haltlos, dass die politischen Maßnahmen wirkungsvoll waren36. Denn sie berücksichtigen weder die oben besprochene Standardisierung der Fallzahlen auf die Anzahl der Tests, noch bedenken sie die ca. 21-tägige Latenzzeit zwischen Infektion und Fallregistrierung.

Menschliche Unzulänglichkeit aber keine Verschwörung

Die Tatsache, dass die meisten Länder so hektisch und heftig auf die neuartige Bedrohung namens CoV2 reagiert haben, ist verständlich aufgrund von folgenden leicht kombinierbaren Fakten:

a) Der Erreger war komplett neu und unbekannt; daher war alles denkbar. Da er SARS hervorrufen konnte, musste mit dem Schlimmsten gerechnet werden.

b) Die Modelle, die ganz zu Anfang zur Verfügung standen 22,23, waren grob und haben maximalen Schaden angenommen. Darauf hat die Politik reagiert, verständlicherweise oder unglücklicherweise, je nachdem.

c) Diese Modelle haben die angeborene Immunität praktisch nicht berücksichtigt. Darum lagen die Voraussagen und Erwartungen falsch, und die Wirklichkeit hat sich völlig anders entwickelt.

d) Daraus ergab sich ein Widerspruch zwischen allgemeiner Wahrnehmung und politischer Realität. Die Politik hat naturgemäß, denn diese Systeme sind träge, ihr Handeln beibehalten. Sie hat sich, das ist ihr vorzuwerfen, von Fachleuten mit einseitiger Optik beraten lassen – Virologen mit spezifischem Interesse und Epidemiologen mit offenkundig fraglicher Kompetenz – und kritische Stimmen von Anfang an ausgeblendet, etwa die Stellungnahmen des deutschen Netzwerkes EvidenceBased-Medicine 37 und vieler anderer. Die Kompetenz anderer Fächer – Hygiene, Infektiologie, Immunologie, Psychologie – fehlte praktisch komplett, zumindest war sie nach außen nicht sichtbar.

e) Die Medien haben zu einem frühen Stadium eine sehr zweifelhafte Rolle eingenommen. Zu ihrem berechtigten Interesse nach Aufklärung mischte sich der Wettbewerb um die größten Effekte, kombiniert mit maximaler Inkompetenz in der Berichterstattung komplexer numerischer Zusammenhänge. Statt standardisierter Zahlen wurden Särge gezeigt. Und fertig war das Narrativ vom „Killervirus“.

f) Dies führte zu einer Kette von Handlungszwängen: Man muss die Maßnahmen rechtfertigen. Das geschieht über zweifelhafte Wissenschaft, wie sie in manchen Äußerungen des RKI und vor allem in öffentlichen Statements von Presse und Politik zu besichtigen war. Daher sammelt man vor allem solche Daten, die diese Maßnahmen rechtfertigen, was zur ganzen Palette der Wahrnehmungsverzerrungen führt, die Klassiker der Psychologie sind: Soziale Wahrnehmung, Bestätigungsbias, Ausgrenzen unliebsamer Informationen, kognitive Dissonanz, um nur die wichtigsten zu nennen.

g) Dadurch werden die Wahrnehmungen all derer, die mit dieser offiziellen Wirklichkeitssicht nicht übereinstimmen, ausgegrenzt. Diese suchen sich dann anscheinend plausible Erklärungen für das offenkundig unvernünftige Handeln der Verantwortlichen. Die Geburtsstunde der Verschwörungstheorien ist gekommen, die dann noch ihre je persönlichen Messerchen und Äxtchen gegen die Mächtigen wetzen.

Da sich diese mittlerweile als „CoronaLeugner“ oder „Verschwörungstheoretiker“ Verunglimpften ebenfalls positionieren müssen, bleibt ihnen nichts anderes übrig als ihre Position zu befestigen und fertig ist der Grabenkampf.

Eine differenzierte Sicht: die Aggressivität des Erregers und die Kompetenz des Immunsystems

Die offizielle Sicht der Politik fokussiert auf die Aggressivität des Erregers. Das kommt daher, dass er in der Tat, anders als das Influenza-Virus, bei denen, die es arg erwischt, extrem schwerwiegende Verläufe verursacht 38,39. Diese Aggressivität muss man anerkennen. Sie hat sich vor allem bei den „superspreading events“ gezeigt, bei der durch Tröpfchen große Virusmengen freigesetzt werden: Bei Karnevals-, Bier- und anderen Festen, bei Chorproben und Fussballgegröle, überall wo es eng und laut zugeht. Das ist allerdings erstens nicht der Alltag und zweitens eine Verbreitungsroute, die man rasch und leicht unterbinden kann. Zu diesem Zweck waren die Verbote von Großveranstaltungen vernünftig.

Allerdings sieht man an den Daten35: Um die weitere Ausbreitung zu verhindern, hätte man nicht das ganze Land herunterfahren, Schulen, Restaurants und Läden schließen müssen. Das liegt eben daran, dass dann, als der Erreger richtig öffentlich sichtbar wurde, das Schlimmste schon vorbei war. Das hätte man rasch gesehen, wenn man nicht mit dem Tunnelblick auf das Killervirus und nur auf das geblickt hätte. Denn: Unser Immunsystem wird offenbar gut mit ihm fertig, jedenfalls in der Regel und bei den meisten Leuten. Daher ist eigentlich der Gipfel vorüber, die Gefahr weitestgehend gebannt und alles was im Moment passiert „um die zweite Welle zu verhindern“, ist so ähnlich wie das, was früher passierte, „um die Kurve flach zu halten“: politisches Placebo. Weder war es nötig die Kurve flach zu halten, denn sie wäre so oder so nicht steil geworden. Möglicherweise hätten wir mehr Fälle gehabt, möglicherweise mehr Todesfälle, so ähnlich wie Schweden. Aber wir wären dann durch gewesen. Vielleicht kommt jetzt in der Tat eine zweite Welle, aber mit Sicherheit kleiner als vorausgesagt, und wir täten klug daran, diese jetzt nicht mit aller Gewalt verhindern zu wollen, sonst schaden wir uns noch mehr und dann kommt die dritte.

Diese Reaktionen sind meines Erachtens unserer Unfähigkeit geschuldet, uns mit dem Unausweichlichen, dem Tod, konstruktiv zu befassen. Wir haben im Namen der maximalen Verhinderung von Todesfällen das Leben maximal beschnitten. Das ist nicht nur ein zutiefst unchristlicher Ansatz. Sondern wir haben auch die Verhinderung von Todesfällen auf unkluge Weise betrieben. Denn durch die Einseitigkeit der Infektionsverhinderungslogik stehen jetzt Existenzen vor dem Ruin, sterben Menschen vielleicht an anderen, durchaus verhinderbaren Krankheiten – weltweit wurden mehr als 28 Millionen Operationen abgesagt oder verschoben 40 – , werden möglicherweise Menschen zwanghaft oder depressiv oder beides und damit selbstmordgefährdet. Den 7.824 Covid-19 zugeschriebenen Todesfällen in Deutschland (Stichtag 15.5.2020) stehen gegenüber:

  • Etwa 10.000 Unfälle im Haushalt pro Jahr – verbieten wir deswegen das Besteigen von Haushaltsleitern oder das Wechseln von Lampen?
  • Ca. 9.500 Selbstmorde – haben wir deswegen ausreichend viele staatlich geförderten Anlaufstellen und Instanzen?
  • Ca. 5.000 Todesfälle im Straßenverkehr – haben wir deshalb eine nationale Kampagne zur Abschaffung des Autos?

Auch wenn wir derzeit in der Sterbestatistik in Deutschland eine leichte Erhöhung über den Vorjahresdurchschnitt der gleichen Monate sehen, sie ist nichts, aber auch gar nichts, gegen die Übersterblichkeit von 25.000 Todesfällen durch die letzte schwere Grippeepidemie 2017 (https://www.destatis.de/DE/Themen/ Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/ Sterbefaelle-Lebenserwartung/sterbefallzahlen.html). Was ist nur in uns gefahren, frage ich mich, dass wir uns von einem Corona-Virus so haben kirre machen lassen? Dass er weniger infektiös war als anfänglich erwartet, war relativ rasch klar. Dass die schweren klinischen Verläufe arg, langgezogen und schmerzlich sind und dass manche daran sterben werden ebenfalls. Aber auch, dass es wesentlich weniger sein werden als gedacht. Dass manche krank werden, war auch rasch klar. Dass aber viel weniger krank werden würden, weil sie dank ihrer natürlichen Immunität geschützt sind, war eigentlich auch bald offensichtlich. Nur hat sich dafür schon niemand mehr interessiert.

Was führt eine Gesellschaft, und vor allem die politisch Verantwortlichen, dazu, nur noch auf die Figur zu blicken, die dunkle Gefahr, und den hellen Grund, die natürliche Kompetenz und Ressource der natürlichen Immunität zu ignorieren? Nicht nur die Politik, auch die Mehrzahl der öffentlich agierenden Wissenschaftler und Publizisten? Mir scheint, unsere Kultur hat es verlernt, Ambiguität auszuhalten, mit Unsicherheiten konstruktiv umzugehen, und hat sich komplett einer Risikovermeidungsstrategie verschrieben. Verrückterweise vermeiden wir andere, durchaus leichter vermeidbare Risiken überhaupt nicht. Wir denken überhaupt nicht, auch nicht in Ansätzen, über die Problematik einer flächendeckenden Bestrahlung unseres Planeten mit Mikrowellenstrahlung aus ca. 20.000 Satelliten im All nach. Wir tun relativ wenig, um die anderen globalen Probleme konstruktiv anzugehen, den Artenschwund, die soziale Ungerechtigkeit zwischen und innerhalb von Ländern, die Verschwendung von Energie und Ressourcen. Wenigstens dazu hat uns das Corona-Virus unfreiwilliger Weise gezwungen. Ich hoffe, dass etwas Einsicht und verändertes Verhalten übrig bleiben. Dann wird die Covid-19 Krise auch etwas Gutes gehabt haben.

Der klinische Psychologe, Philosoph und Wissenschaftshistoriker Prof. Dr. Dr. Harald Walach ist Professor an der Medizinischen Universität Poznan, Polen und Gastprofessor an der Universität Witten-Herdecke (Philosophische Grundlagen der Psychologie). Ausserdem ist er Gründer und Leiter des „Change Health Science Instituts“. https://harald-walach.de