Klinische Homöopathieforschung im Überblick

1. Versorgungsforschung zur Homöopathie

Randomisierte, (placebo)kontrollierte Studien (RCTs) gelten als „Goldstandard“ der klinischen Forschung. Sie erlauben einen relativ sicheren Kausalschluss von der eingesetzten medizinischen Intervention auf den Therapieeffekt. Forschungsergebnisse aus RCTs sind aber nur eingeschränkt auf den klinischen Alltag übertragbar. Daher sind auch Studien, die die Wirksamkeit von Therapien unter den realen Gegebenheiten der Krankenversorgung untersuchen, bedeutsam.1 In der Versorgungsforschung wird die Homöopathie meist als komplettes Therapieverfahren (Anamnese, Arzneimittelgabe, Follow-Up-Gespräch etc.) untersucht. Sie erlaubt daher keine direkten kausalen Schlüsse auf die spezifische Wirkung potenzierter Arzneimittel.

1.1 Beispiel Witt el al. (2005)

Bei dieser an der Berliner Charité durchgeführten Outcome-Studie2 zur Homöopathie handelt es sich um die bislang größte Beobachtungsstudie zur ambulanten homöopathischen Versorgung im deutschsprachigen Raum. Witt et al (2005) untersuchten über zunächst zwei und letztlich acht Jahre3 3.981 Patienten, die von 103 homöopathischen Ärzten in Kassen- und Privatpraxen nach den Regeln der klassischen Homöopathie behandelt wurden. Die häufigsten Krankheiten waren Kopfschmerzen und Migräne bei Frauen, allergische Rhinitis und Hypertonie bei Männern sowie Neurodermitis und Infektanfälligkeit bei Kindern, wobei es sich über alle Patientengruppen hinweg zu 97 % um chronische Zustände handelte. Die Betroffenen litten im Schnitt bereits 8,8 Jahre unter ihrer Erkrankung, und 95 % der Patienten hatten vor Studienbeginn bereits konventionelle Behandlung in Anspruch genommen.

Die homöopathische Behandlung führte zu einer durchschnittlichen Reduktion der klinischen Symptome um ca. 50 % sowie zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität. Der größte Symptomrückgang erfolgte innerhalb der ersten drei Monate der Behandlung. Nach 24 Monaten waren laut Aussage der Patienten 23 % der initial vorhandenen Symptome vollständig behoben, und 13 % der Studienteilnehmer gaben an, überhaupt keine gesundheitlichen Beschwerden mehr zu haben. Die beobachtete Verbesserung der Symptome und der Lebensqualität waren über 8 Jahre stabil. Ein niedrigeres Lebensalter und eine schwerere Erkrankung korrelierten mit einer größeren Verbesserung.

1.2. Beispiel EPI3-Kohorte

Die EPI3-Kohortenstudie untersuchte in Frankreich insgesamt 8.559 Patienten, die sich bei 825 Ärzten mit und ohne homöopathische Zusatzqualifikation in Behandlung befanden. Die Forscher analysierten die Daten im Hinblick auf die Therapieeffekte bei verschiedenen Erkrankungen und berücksichtigten auch, wie viele konventionelle Arzneimittel in den jeweiligen Praxen verordnet wurden.

In Bezug auf Erkrankungen der oberen Atemwege von Erwachsenen und Kindern in 518 Fällen fanden die Forscher heraus, dass in homöopathischen gegenüber rein konventionellen Arztpraxen ca. 50 % weniger Antibiotika, Entzündungshemmer und fiebersenkende Mittel verschrieben wurden. Der Therapieerfolg in der Homöopathiegruppe war dem in der Vergleichsgruppe ebenbürtig.4

Ähnliche Daten wurden für das Gebiet der muskuloskelettalen Erkrankungen, wie etwa rheumatoide Arthritis, anhand von 1.153 Fällen erhoben: Nach 12-monatiger Therapie konnte kein signifikanter Unterschied in Bezug auf die Behandlungsergebnisse zwischen homöopathischen und konventionellen Ärzten konstatiert werden. Erstere verschrieben aber nur etwa die Hälfte der sonst standardmäßig eingesetzten nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und Schmerzmittel.5

In der Untergruppe der psychischen Störungen wurden die Daten von 710 Menschen evaluiert, die unter Depressionen und Angststörungen litten. Für die Probanden, die sich bei homöopathischen Ärzten in Behandlung befanden, wurde ein größerer Rückgang der klinischen Symptome im Vergleich zu rein konventionellen Praxen beobachtet. Gleichzeitig betrug die Wahrscheinlichkeit, Psychopharmaka verordnet zu bekommen, für diese Patienten weniger als ein Drittel gegenüber der Vergleichsgruppe.6

1.3. Fazit Versorgungsforschung

Beobachtungs- bzw. Outcomestudien, die sich am klinischen Praxiseinsatz orientieren, belegen in Bezug auf verschiedenste Krankheitsgebiete relativ einheitlich: Patienten, die sich homöopathisch behandeln lassen, erleben klinisch relevante Verbesserungen ihrer Symptome sowie einen Zugewinn an Lebensqualität. Die Effekte sind im Vergleich zur konventionellen Therapie regelmäßig ähnlich groß, es treten jedoch signifikant weniger Nebenwirkungen auf.7 Auch Patienten, die durch konventionelle Behandlungen keine hinreichende Besserung erfahren haben, profitieren häufig durch die Homöopathie. Ärzte mit homöopathischer Zusatzausbildung verordnen bei diversen Erkrankungen ca. 50 % weniger synthetische Arzneimittel, zum Beispiel Antibiotika, nichtsteroidale Antirheumatika und Psychopharmaka. Die Mehrzahl der vorliegenden gesundheitsökonomischen Studien zur Homöopathie fand gesundheitliche Verbesserungen, die denen der konventionell behandelten Kontrollgruppe äquivalent waren bei gleichzeitigen Kosteneinsparungen.8

2. Meta-Analysen randomisierter, placebokontrollierter Doppelblindstudien

Nach den Vorstellungen der Evidenzbasierten Medizin (EBM) können die zuverlässigste Erkenntnissen über die Wirksamkeit eines Therapieverfahrens über Meta-Analysen hochwertiger randomisierter, kontrollierter Studien gewonnen werden. Sowohl Befürworter als auch Kritiker der Homöopathie berufen sich daher häufig auf derartige Übersichtsarbeiten, um ihre jeweilige Position zu stützen. Im Folgenden wird daher anhand von Beispielen ein Überblick über Meta-Analysen klinischer Homöopathiestudien gegeben.

2.1. Beispiel Linde et al. (1997)

Unter der Fragestellung, ob die klinische Wirksamkeit der Homöopathie ausschließlich durch Placeboeffekte erklärbar sei, führten Linde und Kollegen eine MetaAnalyse9 aller randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien zur Homöopathie durch. Von 119 gefundenen Studien enthielten 89 genügend Daten, um in die Meta-Analyse einbezogen zu werden. Für diesen Pool ergab sich eine signifikante Überlegenheit der Homöopathie gegenüber Placebo. Für die 26 als methodisch hochwertig eingestuften Untersuchungen berechneten Linde et al. eine geringere aber immer noch signifikante Wirkung über Placebo. Auch eine Korrektur der Resultate aufgrund von potenziellen Fehlern, die durch selektive Berichterstattung (Publication Bias) zustande gekommen sein könnten, brachte die positiven Effekte der Homöopathie nicht zum Verschwinden.

2.2. Beispiel Shang et al. (2005)

Diese Arbeit10 hat wohl das meiste Medienecho von allen wissenschaftlichen Arbeiten zur Homöopathie ausgelöst. Shang et al. (2005) bezogen sich auf nahezu denselben Datenpool wie seinerzeit Linde et al. (1997), in die Endanalyse gingen jedoch bloß 8 von zunächst 110 untersuchten Arbeiten ein. Diese 8 Studien wurden als größte aus einem Pool von zunächst 21 ausgewählt, die eine hohe methodische Qualität aufwiesen. Die kombinierte Odds Ratio dieser 8 Studien ließ keine signifikanten Effekte der Homöopathie über Placebo erkennen.

Diese Meta-Analyse wurde von verschiedenen Autoren mit kritischen Kommentaren bedacht, die mehrere signifikante Schwächen der Arbeit aufzeigten. Am wichtigsten scheint die Tatsache, dass die Auswertung der 21 qualitativ hochwertigen Studien eine signifikante Überlegenheit der Homöopathie gegenüber Placebo demonstriert.11 Das negative Ergebnis, das die Autoren schlussendlich präsentieren, hängt zudem maßgeblich von einer einzigen Studie ab, die die Wirksamkeit eines homöopathischen Mittels zur Prävention von Muskelkater untersucht.

2.3. Beispiel Mathie et al. (2014)

Diese Meta-Analyse12 schloss ausschließlich Studien ein, deren Therapiemodus sich als „individualisierte Homöopathie“ klassifizieren ließ. Auch das Qualitäts-Assessment mittelst Bewertung des Verzerrungsrisikos nach den hohen Standards Cochrane Collaboration stellte ein Novum dar. Von den 32 eingeschlossenen Arbeiten boten 22 genügend Daten, um in die Endanalyse aufgenommen zu werden. Diese Studien lieferten ein signifikant positives Ergebnis für die Homöopathie. Die Bewertung der methodischen Qualität führte allerdings dazu, dass lediglich drei Arbeiten als zuverlässig eingestuft wurden.

Deren kombinierte Auswertung lieferte zwar ebenfalls signifikante Effekte über Placebo, jedoch konnten die Autoren aus lediglich 3 Studien keine abschließenden Schlussfolgerungen ziehen, zumal alle verschiedene Indikationen untersuchten.

Mathie und Kollegen haben bis 2019 noch drei weitere Meta-Analysen zur Homöopathie geliefert, die jeweils andere Studien untersuchen, z.B. solche mit nicht- individualisierter (klinischer) Verschreibung oder solche, in denen die Kontrollgruppe kein Placebo, sondern eine andere Behandlung erhielt. Die Ergebnisse dieser Arbeiten sind den hier dargestellten aus Mathie (2014) im Wesentlichen vergleichbar.13

2.6. Fazit Meta-Analysen RCTs

Insgesamt ergibt sich hinsichtlich der bis dato publizierten indikationsunabhängigen Meta-Analysen zur Homöopathie (n = 8), dass in der Regel eine spezifische Wirksamkeit potenzierter Arzneimittel über Placebo hinaus erkennbar ist, auch in den methodisch hochwertigen Studien. Das Gesamtergebnis fällt jeweils nur dann negativ aus (Homöopathie=Placebo), wenn der größte Teil (90 – 95 %) der vorliegenden Daten von der Auswertung ausgeschlossen wird und/ oder fragwürdige statistische Methoden angewandt werden.14 Die Autoren stimmen allerdings mehr oder weniger darin überein, dass die Evidenzlage keine definitiven Schlussfolgerungen zulässt, insbesondere in Bezug auf einzelne Erkrankungen. Denn es mangelt an hochwertigen Studien sowie unabhängigen Replikationen.

3. Homöopathieforschung im Gesamtkontext der EBM

96 % aller Cochrane-Übersichtsarbeiten fordern mehr hochwertige Forschung. 49 % dieser Publikationen präsentieren Ergebnisse, die keine Schlussfolgerungen auf die Nützlichkeit/Schädlichkeit der untersuchten Intervention zulassen. Nur für 1 % aller medizinischen Verfahren, die nach CochraneStandards untersucht wurden, gilt, dass sie sicher hilfreich und wissenschaftlich eindeutig belegt sind, so das Fazit einer Analyse von 1016 Cochrane-Reviews.15 Die Homöopathie dürfte aufgrund der vorliegenden Ergebnisse aus der Versorgungsforschung sowie Meta-Analysen randomisierter, placebokontrollierter Doppelblindstudien vorläufig in die 44 % ausmachende Gruppe der Interventionen einzuordnen sein, die vermutlich hilfreich sind, aber besser erforscht werden müssen. Im Vergleich zu sehr vielen Interventionen der konventionellen Medizin, die trotz geringerer oder sogar negativer Evidenz deutlich verbreiteter sind, steht die Homöopathie aufgrund der Gesamtevidenzlage aus klinischen Studien besser da, als dies die regelmäßige kritischen Medienberichte evtl. vermuten ließen.