Konzentrationsfähigkeit fördern – aber wie?

Zunächst einmal zur Bedeutung des Wortes Konzentration: Es kommt aus dem Lateinischen und setzt sich zusammen aus con (gemeinsam, zusammen, mit) und centrum (Zentrum, Mittelpunkt). Unter Konzentration versteht man die willentliche Fokussierung der Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Tätigkeit, auf das Erreichen eines kurzfristig erreichbaren Ziels oder das Lösen einer gestellten Aufgabe. Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, ist zum einen naturgemäß gegeben (das Baby konzentriert sich gleich nach der Geburt darauf, an der Mutterbrust zu trinken). Sie unterliegt jedoch auch der kontinuierlichen Reifung bzw. Entwicklung durch Lernprozesse. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne von Kindern und Jugendlichen beträgt bei

  • 5 bis 7-Jährigen durchschnittlich 15 Minuten,
  • 7 bis 10-Jährigen durchschnittlich 20 Minuten,
  • 10 bis 12-Jährigen durchschnittlich 20 – 25 Minuten,
  • 12 bis 14-Jährigen durchschnittlich 30 Minuten (Stangl, 2019).
Diese nimmt im Alter auch wieder ab. Eine Studie der DAK aus dem Jahr 2016 ergibt, dass die Konzentrationsleistung von Kindern und Jugendlichen in der Schule und bei den Hausaufgaben im Vergleich zu den Vorjahren tatsächlich abnimmt (DAK-Studie 2016, „Gesundheitsfalle Schule“).

Wie kommt es nun zu Störungen der Konzentration?

Im Laufe des letzten Jahrhunderts gab es viele monokausale Erklärungsansätze, welche meines Erachtens der Komplexität des Menschen nicht gerecht werden. Sie sind in der Regel einem reduktionistischen biochemischen Menschenbild geschuldet. Das aktuellste Beispiel einer solchen Hypothese erklärt Konzentrationsstörungen mit einem nicht funktionierenden Austausch der Neurotransmitter im Gehirn (Dopamin). Als Behandlung werden Neurostimulanzien verabreicht, die diesen Austausch wieder in gesunde Bahnen lenken sollen (z.B. Methylphenidat, Produktname „Ritalin“). Hierbei bleibt offen, was zuerst da war (Henne oder Ei): Der durcheinandergebrachte Hirnstoffwechsel oder Entwicklungsprozesse, die zu diesem führten? Zwar sind familiäre Häufungen durchaus zu beobachten, doch könnten diese auch durch Lernprozesse erklärt werden.

Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist ein Menschenbild, welches Soma (Körper), Psyche und Pneuma (Geist) als untrennbare Einheit sieht. Ich gehe daher von einem multifaktoriellen Erklärungsansatz aus, der sowohl psychologische als auch physiologische Einflüsse auf die Konzentration sieht. Viele der im Folgenden genannten Bereiche beeinflussen und bedingen sich gegenseitig. Es entstehen sogar Teufelskreise, wobei sich einzelne Faktoren gegenseitig festigen und hochschaukeln. Es gilt herauszufinden, welche Einflussfaktoren einerseits am stärksten, andererseits aber auch am schnellsten zu verändern sind.

Schlaf

Viele Schüler in meiner Praxis weisen Schlafstörungen auf. Es können Probleme beim Einschlafen oder aber beim Durchschlafen vorliegen. Kinder mit Konzentrationsstörungen zeigen häufig schon im frühen Kindesalter Schlafprobleme. Guter Schlaf ist absolut notwendig für alle kognitiven Prozesse. Im Schlaf wird aussortiert, was unwichtig ist, vertieft was von Bedeutung ist. Kinder benötigen zum guten Einschlafen Sicherheit und Geborgenheit. Rituale können dieses Gefühl verstärken. Gerade in der Zeit vor dem Schlafen sollte nichts Aufregendes oder Stimulierendes erlebt werden. Auch grelles Licht (mit hohem Blauanteil wie z.B. am Bildschirm) ist störend, da hierdurch der Tag-Nacht-Rhythmus beeinflusst wird.

Tipps:

  • Lesetipp: „Schlaf gut“ von Dr. med. Claudia Croos-Müller
  • Einsatz von Aromen (z.B. Lavendel)
  • Präparate aus der Naturheilkunde (z.B. Baldrian-Tee)
  • Entspannungstherapien (die VHS bietet immer wieder Kurse dazu an)
  • Reduktion des Medienkonsums (siehe unten)
  • Einsatz von Blaulichtfiltern in Tablets, Smartphones und PCs (Apps: Twilight, f.lux)

Erziehung

In der heutigen Zeit herrscht eine große Unsicherheit in Fragen der Erziehung. Im letzten Jahrhundert entstanden so viele Erziehungstheorien und Ideologien, wie in keiner Zeit davor. Hinzu kommt, dass Eltern aufgrund der Kleinfamilie häufig keine Anschauungsmöglichkeit anderer, bereits erfahrenerer Eltern haben. Erziehung ist ein sehr intimes Thema, bei dem eigene Schwächen und auch Verletzungen der eigenen Kindheit große Bedeutung haben. Daher wird selten darüber gesprochen. Das Zauberwort heißt „Liebe und Konsequenz“. Das ist oft keine natürliche Eigenschaft, die wir als Eltern mitbekommen, sondern muss hart erarbeitet werden und fängt bereits mit der eigenen Lebensführung vor Gründung der Familie an (nur Erzogene können erziehen). Mein Tipp ist daher, wo möglich, Erziehungsberatung oder -kurse zu besuchen, um in einen aktiven Austausch mit anderen Eltern zu kommen und das Schweigen zu brechen. In vielen Städten gibt es Vereine oder Stammtische speziell für Eltern mit Kindern, die Konzentrationsstörungen haben, so auch in Pforzheim.

Einen besonderen Hinweis verdanke ich meinem Professor, Dr. Michael Dieterich. Er führt die immense Zunahme von Spielzeug in Kinderzimmern mit als Grund dafür auf, dass Kinder nicht lernen, an einer Sache zu bleiben, Langeweile zu überwinden, kreativ zu werden – und somit letztlich nicht lernen, sich zu konzentrieren. Also daher: „Weniger ist mehr!“

Tipps:

  • Prüfen Sie, ob es wirklich notwendig ist, dass beide Eltern voll berufstätig sind. Die Präsenz der Eltern ist gerade in den ersten Lebensjahren von unerlässlicher Bedeutung. Als Eltern geben Sie Ihren Kindern damit Sicherheit und Urvertrauen für ein ganzes Leben mit.
  • Lesetipp: Steve Biddulph: „Das Geheimnis glücklicher Kinder“
  • Childwise.de (Erziehungskurs)
  • Elterntraining der PSM (https://www. pforzheimer-stadtmission.de/pdf/ ADHS-Flyer.pdf)
  • adhs-deutschland.de ( regionale Gruppen)

Lebensstil / Gesellschaft

Die beiden Hauptkriterien einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung sind Unaufmerksamkeit sowie Impulskontrollverlust. Beides wird in unserer Gesellschaft tagtäglich vorgelebt und beeinflusst somit auch uns selbst. Die ganze Wirtschaft bedient sich bei der Werbung psychologischer Methoden, um die Impulskontrolle von Menschen zu umgehen. Nur einen Klick ist man heutzutage von einem Kauf entfernt. Abstinenz und Selbstkontrolle wird durch die Medien nicht betont und belohnt. Das ständige Berieseln mit Informationen aus allen Medienkanälen versetzt unser Gehirn in einen Dauerrausch, welcher eine ständige Ablenkung von den eigentlich wichtigen Dingen verursacht. Gerade für Kinder braucht es eine Entschleunigung, welche allerdings nur von uns Erwachsenen ausgehen kann.

Tipps:

  • Fasten für Eltern (es gibt verschiedene Formen davon – passend für jede Lebensphase).
  • Verbringen Sie viel Zeit mit Ihren Kindern in der Natur.
  • Planen Sie gerade mit kleineren Kindern lieber einen Urlaub auf dem Bauernhof statt eine Städtereise oder machen Sie Ausflüge in die schönen Ecken Ihrer Heimat.
  • Üben Sie Verzicht und versuchen Sie, Dinge zu reparieren, und beteiligen Sie die Kinder dabei.
  • Mehr als ständiges Ermahnen hilft das lebendige Vorbild der Erwachsenen, um einen konsumkritischen Lebensstil einzuüben.
  • Der Wegfall der Grundschulempfehlung hat viele Eltern dazu verleitet, ihr Kind auf eine höhere Schulform als die eigentlich empfohlene zu schicken. Dies führt zu Überforderung, Misserfolgen und Verlust der Motivation. Erlauben Sie Ihrem Kind, sein eigenes Tempo im Lernen zu gehen, und suchen Sie eine passende Schule für das Kind.

Stoffwechsel und Ernährung

Es gibt verschiedene Stoffwechselstörungen bzw. Mangelerscheinungen, welche sich auf die Konzentration auswirken können. Hier hilft nur der Gang zu einem verständigen Naturheilmediziner, welcher sich über ein erweitertes Blutbild Informationen über Ihren Zustand oder den Ihres Kindes verschaffen kann. Besonderes Augenmerk verdient das Vitamin D (häufige Mangelerscheinung in Deutschland, die Müdigkeit und Konzentrationsverlust zur Folge hat), Eisen (vor allem bei Mädchen im heranwachsenden Alter zu prüfen), Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, Magnesium und Zink.

Wichtig bei allen Nahrungsergänzungsmitteln ist eine gut funktionierende Verdauung, ohne welche die Stoffe nicht gut aufgenommen werden können. Das Trinken von reinem Wasser statt süßer Getränke hilft dabei. Sportliche Betätigung hilft gerade Kindern mit einer Neigung zur Hyperaktivität zum Auspowern und anschließendem Konzentrieren.

Tipps:

  • Kinder benötigen zum Ausgleich der einseitigen kognitiven Herausforderungen in der Schule sportliche Betätigung. Machen Sie selbst regelmäßig Sport und finden Sie zusammen mit Ihrem Kind eine passende Sportart in einem Sportverein.
  • esprico.de (Übungsprogramm)

Medienkonsum

Ein sehr leidvolles Thema. Es wird wohl erst im Rückblick festzustellen sein, was für immense Veränderungen die Menschheit durch den verstärkten Medienkonsum durchmacht. Wie bei vielen Dingen entscheidet auch hier das richtige Maß über den Erfolg. Elektronische Medien sind nicht schlecht an sich. Je nachdem, wie sie genutzt werden, können sie Segen oder Fluch bewirken (wie bei allen technischen Errungenschaften: z.B. wurde dieser Artikel auf einem Laptop geschrieben, Recherchen für die Tipps wurden im Internet durchgeführt.)

Ein grundsätzliches Problem ist, dass Kinder aus entwicklungspsychologischer Sicht elektronischen Medien häufig zu früh ausgesetzt werden. Unter Eltern wird bereits von der „koreanischen oder chinesischen Oma“ als Babysitterin gesprochen, um die Bedeutung von Smartphone und Tablets bei der Betreuung von Kindern zu beschreiben. Ein Smartphone ist erst mit etwa 14 Jahren zu empfehlen. Tastenhandys sind aus der Mode gekommen, eignen sich jedoch genau für das Alter davor, um die Kommunikation zwischen Kindern und Eltern zu erleichtern. Ein Smartphone verhindert dies in der Regel. Der Einsatz von Kinderschutzsoftware ist bei altersgerechter Nutzung nicht mehr notwendig, für die Realität in den Familien sind solche Apps jedoch teilweise unverzichtbar, da der Medienkonsum zu früh und zu intensiv ist. Beispiele finden sich unter:

  • medien-sicher.de/2017/03/test-kinderschutzsoftware-screen-time
  • timelimit.io

Es ist sinnvoll, gemeinsam über Regeln, Gebrauch und Nutzungszeiten zu sprechen und dies schriftlich zu fixieren. Eine Vorlage, die individuell gestaltet werden kann, findet sich auf der Webseite www. mediennutzungsvertrag.de.

  • clemenshilft.de (Medienpädagoge im Raum Pforzheim/Enzkreis)

Lesetipps:

  • Manfred Spitzer: „Cyberkrank“ und „Vorsicht Bildschirm“
  • Lembke/Leipner: „Die Lüge der digitalen Bildung“

Stichwort Ritalin In meiner Lerntherapie-Praxis stoße ich immer wieder auf Eltern, die eine medikamentöse Behandlung komplett ablehnen. Dies ist nicht verwunderlich, da sich die Eltern vorab häufig zunächst im Internet zum Thema „Ritalin“ (Handelsname), bzw. Methylphenidat (Wirkstoff) informieren. Leider findet man nur wenige Informationen, welche nicht polarisieren, sondern ausgewogen informieren.

Eine Arzneimittel-Richtlinie schreibt vor, dass

  • eine Behandlung von ADHS zunächst ohne Medikamente beginnen muss, Methylphenidat erst dann eingesetzt werden darf, wenn die nicht-medikamentöse Behandlung keinen Erfolg zeigt,
  • Methylphenidat auch dann nur innerhalb einer therapeutischen multimodalen Gesamtstrategie verwendet werden darf, die neben pharmakologischen Maßnahmen insbesondere auch psychologische, pädagogische und soziale Therapiekonzepte nutzt.

Leider hinkt diese wertvolle Richtlinie der Praxis oft hinterher. Nichtsdestotrotz kommt es in unserer Praxis häufiger vor, dass ohne eine medikamentöse Behandlung durch einen erfahrenen Facharzt die lerntherapeutische Förderung nur sehr langsame Fortschritte macht.

Wer sich mit der Thematik AD(H)S und deren Behandlung noch mehr beschäftigen möchte, dem kann ich ein Teilnehmerskript einer von mir gehaltenen Fortbildung zuschicken. Schicken Sie uns dazu einen Brief mit Angabe Ihrer Adresse und legen drei 80-Cent-Briefmarken bei. Wir schicken Ihnen das Skript dann zu: lern’s , Christian Kuka, Baumstr. 6, 75172 Pforzheim.

Christian Kuka Lerntherapeut (ILF) Counseling Psychology (Lee-U., TN, USA) Dipl. Sozialarbeiter u. –pädagoge (FH) Seit 2017 Inhaber einer Praxis für Lerntherapie