Leben im Alter

Muss das Alter einsam sein? Nein. Es gibt Möglichkeiten, der Einsamkeit im Alter zu entgehen.

Wie will ich im Alter leben und wohnen?

Der Einsamkeit im Alter zu entgehen, bedeutet oft eine große Kraftanstrengung, um etwas zu verändern – speziell im Alter, in dem man im Allgemeinen doch eher unflexibel wird und liebgewonnene, Halt gebende Gewohnheiten nur schwer aufgeben möchte. Auch gesellschaftlich sind wir vor die Herausforderung gestellt, das Alter neu zu gestalten. Man denke nur an den Mangel an Pflegekräften und das im Angesicht der stetig wachsenden Zahl an Älteren in unserer Gesellschaft. Viele von uns haben nach Eintritt in den Ruhestand noch viele gute und gesunde Jahre vor sich. Es gilt, diese Jahre selbständig zu gestalten, damit wir möglichst lange diese Zeit genießen können. Eine von vielen Möglichkeiten ist es zum Beispiel, gemeinsam mit anderen in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt zu leben, gemeinsam Alltag und gemeinsam Freude zu erleben und sich im Notfall zu unterstützen.

Hier möchte ich berichten, wie ich zu meiner Entscheidung kam, mich einer Wohninitiative anzuschließen und wie sich das Projekt wunderbar entwickelt hat.

Gemeinsam leben im Alter: Wer sich rechtzeitig Gedanken über eine Gemeinschaft macht, muss das “Alleinsein” wenig fürchten.

Wie alles begann:

Durch Zufall hörte ich von einer Wohninitiative, die im Prozess war sich zusammenzufinden, um in Gemeinsamkeit das Alter zu gestalten und zu leben. „Gemeinsam statt einsam“ sollte als Motto über dieser neuen Lebensform stehen. Als ich dazustieß, waren schon einige feste Ideen entstanden: Frauen, Männer, Alleinstehende und Paare ab 50 Jahren aufwärts sollten diese Wohngemeinschaft bilden. Die Alternative generationsübergreifendes Wohnen sollte es nicht sein, diese Initiative wollte, dass ältere Menschen zusammenleben, die in etwa in der gleichen Lebenssituation stehen, die sich gegenseitig unterstützen können, um möglichst lange in Selbständigkeit leben zu können. Fest stand auch, dass jeder Bewohner in seiner eigenen Wohnung lebt, jeder hat immer die Möglichkeit, sich dorthin zurückzuziehen, wenn er das Bedürfnis hat, und herauszugehen und die Gemeinschaft zu suchen, wenn ihm danach ist. Ganz klar war auch, das gemeinschaftliche Leben braucht dann natürlich einen gemeinsamen Raum, in dem man sich zusammenfinden kann – eine Gemeinschaftswohnung.

Eine weitere große Entscheidung war: Wohnprojekt zur Miete oder Eigentum, beides hat Vor- und Nachteile. Wir haben uns für das Mieten entschieden, weil das große Konfliktpotential „Geld“ dann außen vor bleibt. Und nach langem Suchen hatten unsere Pioniere das große Glück, eine Wohnbaugesellschaft zu finden, die die Idee sehr gut fand und die auch bereit war, beim Bauen die Bedürfnisse einer Wohngemeinschaft zu berücksichtigen. Das Belegungsrecht der Wohnungen blieb bei uns, dem Wohnprojekt, die eigentlichen Mietverträge wurden mit der Wohnbaugesellschaft abgeschlossen.


In Würde alt werden kann mitunter auch eine Frage des Geldes sein; jedoch sind Pflegeheime am Ende leider die teuerste aller Lösungen, weshalb es sich jederzeit mehr als lohnt, sich über Alternativen rechtzeitig Gedanken zu machen!

An diesem Punkt, als schon die schwierigste Vorarbeit geleistet war, hatte ich, wie gesagt, das große Glück, von diesem Projekt zu hören und dazuzustoßen, und ich war von Anfang an begeistert. Aber ich hatte noch eine große Hürde zu überwinden. Die schon zusammengefundene Gemeinschaft musste mich aufnehmen und finden, dass ich zu ihnen passe. Mehrmals im Jahr wurden gemeinsame Wochenenden abgehalten, auf denen sich die neuen Interessenten vorstellen und diese natürlich auch die Möglichkeit haben, die schon vorhandenen Mitglieder kennenzulernen. Es war somit ein gegenseitiges Kennenlernen, aber über mich als zukünftiges Mitglied wurde dann in einer Mitgliederversammlung abgestimmt, ob man sich vorstellen kann, dass ich ein passendes Teil der Gemeinschaft werden könnte. Uff, ich bin aufgenommen worden.

Die Begeisterung von der Idee, als Alleinstehende wieder mit anderen zusammenzuwohnen und zu leben, hat mich auch nicht mehr verlassen, denn sonst hätte ich die ganze Umstellung nicht durchgehalten. Denn viele Fragen kamen jetzt auf: Zum Beispiel was mache ich mit der Eigentumswohnung, in der ich noch lebe, die mir natürlich auch lieb war. Verkaufen, vermieten? Und einige Entscheidungen mehr wurden fällig.

Dann fing das Warten an, das Haus wuchs und wuchs. Wir konnten viel mitbestimmen, manches hat die Wohnbaugesellschaft auch nicht akzeptiert, weil sie eigene Interessen verfolgte. Unser Haus besteht aus 31 Wohnungen in drei Teilen, die miteinander durch Keller verbunden sind, wir können im Trockenen von Haus zu Haus gehen. Wir haben alle einen eigenen Kellerraum, aber auch einen gemeinsamen Raum für Waschmaschinen, einen großen Trockenraum und einen (jetzt auch gut von uns ausgestatteten) Werkraum und einen großen Fahrradkeller. Für unsere gemeinschaftlichen Bedürfnisse mieten wir zusammen eine der Wohnungen. Die Kosten dafür sind für den Einzelnen nicht sehr hoch, aber diese Wohnung mit eingerichteter Küche gibt uns die Möglichkeit zu größeren Treffen, Feiern, gemeinsamem Kochen usw. und ist deshalb für uns unentbehrlich.

Ja, und dann kam endlich der Einzug, gleich hier bewährte sich die Gemeinschaft, denn eine Hilfe beim Einzug, beim Gestalten zu haben, sei es auch nur, weil wir uns so schön vom Nachbarn eine Leiter, Bohrmaschine leihen konnten, war genial und wirklich hilfreich. Als alle dann einigermaßen ihre Wohnung so gestaltet hatten, dass sie darin entspannen konnten, musste sozusagen die „innere Gemeinschaft“ aufgebaut werden.


Gemeinsam in Freude alt werden – in einer Wohngemeinschaft bieten sich viele, abwechslungsreiche Möglichkeiten stets ganz in nächster Nähe.

Inzwischen war unser Antrag vom Finanzamt bewilligt worden, wir bekamen den Status eines Gemeinnützigen Vereins. Wir haben einen von uns gewählten Vorstand – 5 Personen – bei dem alles zusammenläuft und der sich verantwortlich für den Verein fühlt. Um alle in unsere Gruppe immer informiert zu halten und um alle Ideen und Fragen der Mitglieder zu kennen und ggf. auch verwirklichen zu können, halten wir jeden Monat eine Mitgliederversammlung ab. Das ist die einzige Veranstaltung/Aktivität, die verbindlich für Bewohner ist. Hier wird in einer festen Ordnung mit Tagesordnungspunkten besprochen, was angefallen ist und was künftig ansteht. Jeder kommt zu Wort, manchmal muss man sich in Geduld fassen, wenn das Gleiche fünfmal gesagt wird. Aber okay, wir sind eine Gemeinschaft, da gehört es dazu. Ist es nötig abzustimmen, stimmen wir ab.

Es haben sich feste Gruppen entwickelt, die regelmäßig etwas zusammen unternehmen: Eine Walkinggruppe, eine Doppelkopfrunde, einige gehen zusammen regelmäßig ins Theater, eine Gartengruppe, die sich liebevoll um unser Grün rund ums Haus kümmert, eine Kinogruppe, die uns regelmäßig mit tollen Filmen verwöhnt und ganz besonders: Wir haben einen Musiker unter uns, der in regelmäßigen Abständen uns die klassische Musik näherbringt. Wir spielen Boule zusammen auf einem kleinen Platz am Haus, und hauptsächlich im Sommer „läuten“ wir auf unserer gemeinsamen Terrasse das Wochenende ein. Die Männer bekochen uns zweimal im Jahr fürstlich. Auch einen festen Termin für ein gemeinsames zwangloses Gespräch haben wir eingeführt. Einmal im Monat treffen wir uns zum gemeinsamen Frühstück. Ab und an tun sich ein paar zusammen und kochen für die anderen Mitglieder. Auch eine gemeinsame 4-tägige Exkursion ins Künstlerdorf Worpswede haben wir schon miteinander unternommen. Neben den festen Aktivitäten kommen sehr oft andere Ideen von Mitbewohnern, Wanderungen, Radtouren u. v. m. Manchmal erstirbt auch eine Aktivität sang- und klanglos wieder und was anderes entsteht. Übrigens all diese Aktivitäten sind Angebote, man kann teilnehmen oder nicht, ausgenommen die regelmäßige Mitgliederversammlung, damit der Zusammenhalt unter uns nicht verloren geht. Es nimmt auch immer nur ein Teil der Bewohner teil, manchmal sogar nur ein sehr kleiner Teil. Aber auf unseren Festen, für die wir regelmäßig einen Grund finden, sind fast alle dabei. In der Nachbarschaft haben wir schon den Ruf bekommen: “Die können feiern“!

Die neuen Medien, hier speziell Mail, sind ein supergutes Hilfsmittel, um uns alle immer schnell und zeitnah zu informieren. Mittlerweile können alle mit diesem Medium umgehen und davon profitieren.


Kommunikation und neue Medien: unter Gleichgesinnten fällt es oft leichter sich auch in der Welt neuer Kommunikationsmittel auszutauschen und zurechtzufinden.

Eine weitere wichtige Frage, die sich bald stellte, war: Wie weit soll die gegenseitige Hilfe gehen? Soll gegenseitige Pflege eingeschlossen sein? Hier gingen dann doch die Meinungen weit auseinander, denn wir alle haben ja schon ein gewisses Alter. Es könnten z. B. mehrere auf einmal hilfebedürftig werden und die anderen Mitbewohner sind entweder noch berufstätig oder doch schon zu alt, um pflegerische Hilfe leisten zu können. Wir haben uns dann geeinigt, dass wir grundsätzlich nur Alltagshilfe leisten wie einkaufen, aus der Apotheke was holen, mal Müll runtertragen und dgl. Wenn jemand mehr leisten will, kann er das natürlich tun. Im Moment haben wir eine Mitbewohnerin nach einem Schlaganfall, die sich selbst nicht mehr kochen kann, für sie hat sich eine kleine Gruppe zusammengefunden, die für eine längere Zeit regelmäßig für sie gekocht hat.

Es gibt aber auch Dinge, die mir sehr schwerfallen, und ich denke nicht nur mir geht es so: Die Menschen, es sind immerhin 42, sind mir vertraut, zum Teil auch sehr ans Herz gewachsen, und wenn sie Leid und Krankheit erleben müssen, ist es schwer zuzuschauen. Ich lebe und leide dann mit ihnen mit. Hier gilt trotz allem Mitleids sich abzugrenzen, oder anders gesagt, nicht vor Mitleid wegschmelzen, sondern schauen, ob und wie man helfen kann.

Manche, wie ich finde, schöne Dinge sind nicht so zum Laufen gekommen, wie ich es mir gewünscht hätte, wie beispielsweise mindestens einmal in der Woche gemeinsam kochen. Es scheint nicht der Bedarf dafür da zu sein. Oder unsere schöne Gemeinschaftswohnung wird nur genutzt für geplante Dinge. Ich hatte mir vorgestellt, dass immer dann, wenn ich Lust auf Kontakte hätte, ich dort jemanden treffen könnte, dem es ebenso geht. Aber das hat sich nicht so entwickelt.

Wir konnten schon eine Hochzeit und eine Goldenen Hochzeit miteinander feiern. Aber leider haben wir auch schon drei Todesfälle zu beklagen. Das tut natürlich immer sehr weh. Eine Mitbewohnerin hat uns aus familiären Gründen verlassen, aber wir haben durch eine neue Partnerschaft auch ein neues Mitglied dazu bekommen

Leider, leider hat uns Corona nach 5 Jahren schönen Gemeinschaftslebens einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Da wir eben eine Wohngruppe älterer Menschen sind und viele von uns Vorerkrankungen haben, manche sogar schwere gesundheitliche Probleme, haben die Kontaktbeschränkungen von 2020 und darüber hinaus das Gemeinschaftsleben so gut wie zum Erliegen gebracht.

Wir versuchten zwar, durch viel Kreativität etwas gemeinsames Leben weiterzuführen, wie z. B. gemeinsames Adventssingen von den Balkonen aus, oder um QiGong weitermachen zu können, übten die „Schülerinnen“ auf ihren Balkonen und unsere Trainerin stand im Garten und gab die Anleitungen.

Nach den Lockerungen und jetzt nach der Aufhebung der Beschränkungen, merken wir deutlich, dass Corona doch vieles gestört hat. Aber der Wunsch, eine gute Gemeinschaft zu sein, ist doch sehr stark bei den Mitgliedern und es gibt Anstrengungen, die Auswirkungen von Corona wieder zu beseitigen.


Zum Glück schon fast in Vergessenheit geraten: Aber leider hinterließen gerade bei den älteren Menschen die Einschränkungen der “Corona-Zeit” schwere Spuren…

Ich kann nur allen Menschen raten, sich mit diesen Gedanken „Wie will ich im Alter leben“ frühzeitig zu beschäftigen. Man sollte nicht zu lange warten, eher früher mit der Planung beginnen, damit man auch noch die Kraft hat, den Plan zu realisieren und es nicht nur beim Wünschen bleibt. Die Gemeinschaft bringt sehr viel Freude und auch Hilfe, aber man muss auch bereit sein, viel zu geben. Auch muss man damit rechnen, dass es immer wieder einmal Probleme geben wird, denn es wird nicht alles glatt und unproblematisch verlaufen. Aber auch hier helfen das gemeinsame Gespräch und die Kompromissbereitschaft. Und es ist allemal besser, sich gelegentlich mit Problemen zu beschäftigen als in Einsamkeit zu versinken.