Die Schulter

Unser beweglichstes Gelenk Die Schulter ist in vielerlei Hinsicht ein besonderes Gelenk. Sie verfügt über das größte Bewegungsausmaß in unserem Körper. Kein anderes Gelenk ist so beweglich wie die Schulter. Auch im anatomischen Aufbau gibt es einige Besonderheiten, die immer wieder zu ganz unterschiedlichen Symptomen führen können. Mal treten die Beschwerden plötzlich auf, wie über Nacht und ein andermal entsteht der Schmerz langsam über mehrere Wochen. Mal sind die Beschwerden sehr stark und am nächsten Tag wieder deutlich besser. Dieser wandelbare Verlauf passt zum Schultergelenk, da es bei näherer Betrachtung eigentlich ein Weichteilgelenk ist und die beteiligten Muskeln, Bänder oder Sehnen mit vielen anderen Körperstrukturen interagieren.

Anatomie

Die Schulter ist ungewöhnlich konstruiert und im Aufbau recht komplex. Vereinfacht lässt sich das Gelenk wie folgt erklären: Die Schulter besteht aus drei Knochen mit vier Gelenkflächen und drei Muskelgruppen. Zusätzlich kommen noch etliche Bänder, Sehnenscheiden und Schleimbeutel hinzu. So erhält das Gelenk eine hohe Bewegungsfreiheit und kann den Belastungen des Alltags standhalten. Die drei Kochen der Schulter sind der Oberarmknochen, das Schulterblatt und das Schlüsselbein. Wenn vom Schultergelenk die Rede ist, denken die meisten an die Verbindung von Oberarm zu Schulterblatt. Dies ist auch in der Tat der größte Bestandteil dieses Gelenks. Weniger bekannt sind die anderen kleineren Gelenke, die jedoch dazu beitragen, dass die Schulter neben der Beweglichkeit auch die nötige Stabilität erhält.

Das größte Gelenk heißt Humeroskapulargelenk. Humero steht für Oberarm und Skapular für Schulter. Es handelt sich hierbei um ein lockeres Gelenk, bei dem der Oberarmkopf mit einer Mulde im Schultergelenk in Kontakt steht. Diese Mulde wird von einer sog. Gelenklippe umschlossen, wodurch eine höhere Stabilität erreicht wird. Im Bereich dieser Gelenklippe ist auch die lange Bizepssehne befestigt. Dieser Zusammenhang spielt bei vielen Symptomen eine nicht unbedeutende Rolle. Eine bewegliche Kapsel umschließt das Gelenk. Das zweite Gelenk besteht aus der Verbindung zwischen Schulterdach und Schlüsselbein. Das sog. Schultereckgelenk. Eine gewisse Bekanntheit erlangt dieses Gelenk durch eine gleichnamige Verletzung: Die Schultereckgelenkssprengung. Durch Sportunfälle oder Stürze kommt es hier immer wieder zu Verletzungen, bei der auch regelmäßig Bänder in Mitleidenschaft gezogen werden. Das dritte Gelenk besteht aus einer hebelartigen Verbindung des Schlüsselbeins zum Brustbein. Nur hier besteht tatsächlich Kontakt mit der Schulter zum Rumpf. Die vierte Gelenkfläche ist gewissermaßen unvollständing. Es beschreibt die Verbindung der Schulterblattinnenseite zu den Rippen. Muskeln und Schleimbeutel bilden hier unterstützende Partner. Für die nötige Beweglichkeit dieser Gelenke sorgen drei kräftige Muskelgruppen. Durch die beteiligte Muskulatur können wir unsere Schulter in viele unterschiedliche Richtungen bewegen. Die Rotatoren sind für die Innen- und Aussendrehung sowie das Heben des Armes verantwortlich. Sie umspannen gemeinsam den Oberarmkopf, wodurch auch der Name Rotatorenmanschette entsteht. Durch diese Manschette wird der Oberarm in seiner Position gehalten. Vor allem beim Heben des Armes nimmt die Belastung auf die Schulter zu. Der Oberarmknochen nähert sich dem Schulterdach an und verkleinert den Zwischenraum. Dieser sog. Subakromialraum mit den eingelagerten Schleimbeuteln ist bei vielen Verschleissproblemen oder Einklemmungssyndromen (Impingement) von Bedeutung. Die zweite Muskelgruppe des Schultergelenkes sind die Brustmuskeln. Sie stellen die vordere Verbindung zur Schulter dar und sind haltungsbedingt häufig verkürzt.

Der dritte wichtige Muskel ist der Deltamuskel. Dieser oberflächlichste Muskel am Oberarm ist mal mehr und mal weniger prominent ausgebildet. Er ist ebenso für das Anheben des Armes verantwortlich. Was steckt hinter Schulterschmerz Durch das enge Zusammenspiel der einzelnen Bestandteile aus Bändern, Muskeln, Schleimbeuteln oder Sehnen kann der Körper Belastungen oft eine gewisse Zeit kompensieren. Gelingt diese Kompensation nicht mehr oder nur unzureichend, kommt es zur Reizung, die sich bis zur Entzündung verstärken kann. Viele Beschwerden der Schulter sind dann oft langwierig. Eine Regeneration verläuft meist über mehrere Wochen, wenn nicht gar Monate. Schulterschmerzen können eine Vielzahl an Ursachen haben. Durch Stürze oder Unfälle, vor allem bei bestimmten Sportarten lässt sich die Ursache schnell zuordnen. Bei Symptomen jedoch, die ohne erkennbaren Auslöser scheinbar über Nacht entstehen, ist die Ursachenfindung nicht immer einfach. So hilft das Erfragen der genauen Symptomatik oftmals schon weiter. Wo zeigt sich der Schmerz? Strahlt der Schmerz aus? Wann entstehen die Schmerzen? In Ruhe oder bei Bewegung? Diese Fragen sind wichtig, um mögliche Ursachen herausfinden zu können. Da es sich bei den meisten Schmerzen um Weichteilschmerzen der beteiligten Muskeln, Bänder oder Sehnen handelt, ist eine gründliche Untersuchung zwingend erforderlich. Die Schulter wird dabei in alle Bewegungsrichtungen getestet. Um herauszufinden welche Strukturen beteiligt sind, wird der Arm in verschiedenen Positionen nach innen und aussen gedreht, gebeugt, gestreckt und angehoben. Selbst kleine Einschränkungen oder Schmerzempfindlichkeiten können wichtige Hinweise geben. Doch nicht immer führt auch die gründlichste Untersuchung zu einem sicheren Ergebnis. Zur weiteren Abklärung oder Festigung einer Verdachtsdiagnose können Ultraschall-Untersuchungen oder bildgebende Verfahren wie Computer- oder Kernspintomographie zum Einsatz kommen.

Von Seiten der Chirurgie werden auch Gelenkspiegelungen durchgeführt. Hier ist dann neben der Untersuchung auch gleich eine therapeutische Intervention möglich. Wenn kein offensichtliches Ereignis an der Schulter vorliegt, die mit dem Schmerzbeginn in Verbindung steht, gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten. Entweder liegt die Ursache in der Schulter selbst, und es muss herausgefunden werden, welche Strukturen betroffen sind. Oder es handelt sich um ein Problem ausserhalb der Schulter, bei dem die Schmerzen nur in die Schulter ausstrahlen. So ist vielen ja bereits bekannt, dass starke Schmerzen im linken Arm auch einen Herzinfarkt ankündigen können. Aus der Halswirbelsäule strahlen Schmerzen oft ebenso in die Schulter aus, wenn Spannungen der Nacken- und Rückenmuskeln vorliegen. Die mit Abstand häufigste Ursache für chronische Symptome an der Schulter sind Probleme mit der Rotatorenmanschette. Charakteristisch hierfür sind Schmerzen seitlich oder vorne an der Schulter, die sich beim Heben des Armes noch verstärken. Auch ein nächtliches Liegen auf der betroffenen Seite ist schmerzhaft. Sehnenschäden, Verkalkungen, Verklebungen, Verwachsungen oder Knochenkanten am Schulterdach können hier zu starken Schmerzen führen. Zu den bekannten Risikofaktoren zählen Überkopfaktivitäten beim Sport (Wurfund Ballsport oder Schwimmen) oder im Beruf. Übergewicht, Instabilität der Schulter oder ein muskuläres Ungleichgewicht begünstigen ebenso die Entstehung. Schließlich spielt auch das Lebensalter eine Rolle. Meist treten Beschwerden der Rotatorenmanschette ab dem 50. Lebensjahr auf. Die Behandlungsmöglichkeiten im Bereich der Schulter sind sehr vielfältig und orientieren sich an der genauen Diagnosestellung. Diese umfassen sowohl chirurgische Eingriffe als auch konservative Maßnahmen wie Schonung, Physiotherapie oder Medikamente. Schmerzen oder Verspannungen im Schulterbereich sind allgemein weit verbreitet. Beschwerden, die bis zu zwei Wochen andauern, werden noch als akut eingestuft, danach bezeichnet man sie schon als chronisch. Oft halten diese dann über mehrere Wochen oder Monate an. Spätestens dann sollte ganzheitlich nach der Ursache gesucht werden, da die Schulter auch mit anderen Körperregionen in Verbindung steht. So kann der Schmerz sich im Bereich der Schulter zeigen, wird aber von anderen Körperstrukturen beeinflusst.

Netzwerk der Faszien

Immer wieder gibt es Schulterprobleme, die trotz gründlicher Diagnostik und unterschiedlichen Behandlungsmaßnahmen zu keiner dauerhaften Linderung führen. In diesem Falle ist es notwendig, den Körper als Ganzes zu betrachten und eine umfassende Untersuchung durchzuführen. Die Osteopathie bietet die Möglichkeit, über eine intensive Beurteilung unterschiedlicher Gewebearten eine Diagnose aus einem anderen Blickwinkel zu erhalten.

Für Osteopathen spielt das Zusammenwirken der unterschiedlichen Körperregionen eine zentrale Rolle im therapeutischen Vorgehen. So wird zum Beispiel über Muskelketten die Position und Funktion der Schulter auch über das Becken beeinflusst. Das Becken wiederum reagiert auf Veränderungen des Fußgewölbes oder der Knie. Abweichungen der unterschiedlichen Körperebenen zueinander können im Falle der Schulter nun dazu führen, dass der Osteopath mit der Behandlung nicht im Bereich der Schulter beginnt, sondern möglicherweise im Becken. Hier können Blockierungen der Beckengelenke (ISG), der unteren Lendenwirbelsäule, muskuläre Spannungsmuster oder Verklebungen im Unterbauch vorliegen. Regelmäßig werden Komplexe Anatomie der Schulter. bei einer umfassenden Untersuchung nämlich weitere Blockierungen in anderen Körperregionen gefunden. Manchmal sind diese sogar viel ausgeprägter, als in der Schmerzregion, werden jedoch vom Körper kompensiert und zeigen noch keine Schmerzsymptome. Sind die Blockierungen zu zahlreich, wird nach Verständnis der Osteopathie, der Körper in seiner Selbstheilung und -regulation geschwächt. Das Symptom zeigt sich meist zuerst im schwächsten Glied der Kette. Was in vielen Fällen dann die Schulter ist. Doch nicht nur Gelenke können die Funktion der Schulter beeinflussen und zu Störungen führen. Da es sich bei der Schulter ja um ein Weichteilgelenk handelt, reagiert dieses Gelenk auf Spannungen der Muskelketten besonders sensibel. So zeigen sich regelmäßig Spannungsmuster in der Muskulatur und im Bindegewebe als Auslöser von Schmerzen im Schulterbereich. Verspannungen der Brust- und Halswirbelsäule strahlen sehr oft in die Schulter aus. Diese Schmerzen können entlang ihrem Spannungsverlauf einseitig oder auch beidseitig auftreten.

Innerhalb des osteopathischen Vorgehens ist es jedoch vor allem das Bindegewebe, das intensiv untersucht wird. Zum Bindegewebe werden zum Beispiel Bänder, Sehnen oder Faszien gezählt. Faszien stehen auch innerhalb der wissenschaftlichen Forschung zunehmend im Vordergrund. Diese zum Teil feinen Fasern bilden ein zusammenhängendes Netzwerk durch unseren Körper. Unterschiedliche Körperregionen und Ebenen werden durch Faszien miteinander verbunden. Spannungen innerhalb dieses Netzwerkes sind für den Osteopathen von großer Bedeutung. Diese Spannungen werden mit den Händen ertastet und bis zu deren Ursprung verfolgt. Im Bereich des Ursprungs werden dann die Blockierungen behandelt. Diese Blockierungen können jedoch nicht nur Gelenke betreffen. Praktisch jede Form der Bewegungseinschränkung innerhalb des Gewebes ist für den Osteopathen eine Blockierung. Verklebungen im Bindegewebe oder Verkrampfungen im Verlauf von Muskelketten. Alle Spannungen, die den Körper in seinen Bewegungen einschränken, sind im Weiteren Sinne als Blockierung zu sehen.

Schulter-Arm-Syndrom

Wie eng die Verbindung zwischen Bindegewebe und Bewegungsapparat ist, zeigt ein Beispiel aus der osteopathischen Praxis. Konstantin Boger (Name geändert) kam wegen anhaltender Schulterbeschwerden in unsere Praxis. Seit mehreren Monaten konnte er vor allem morgens den rechten Arm meist nur unter Schmerzen bewegen. Das Heben des Armes war eingeschränkt und schmerzhaft. Durch Bewegung besserten sich die Beschwerden im Verlauf des Tages etwas. Im Büro kamen die Schmerzen durch seine sitzende Tätigkeit jedoch immer wieder zurück. Herr Boger hatte im Verlauf bereits eine orthopädische Abklärung durchlaufen. Die Diagnose lautete Schulter-ArmSyndrom. Die eigentliche Ursache der Beschwerden konnte jedoch nicht klar festgelegt werden, da auch die Bildgebung keinen Defekt am Schultergelenk zeigte. Die Behandlung, die Herr Boger in den vergangenen Monaten erhielt, bestand aus Physiotherapie und Schmerzmedikation. Vor allem die Physiotherapie in Form von Manueller Therapie besserten die Symptome. Eine völlige Schmerzreduktion konnte aber nicht erreicht werden.

Bei der osteopathischen Untersuchung zeigten sich muskuläre Spannungen, wie sie bei Menschen mit sitzenden Berufen häufig vorkommen. Jedoch konnten auch wir keine deutlichen Dysfunktionen im Bereich der Schulter feststellen. Da bei einer umfassenden Untersuchung stets der gesamte Körper von Bedeutung ist, begaben wir uns auch in anderen Körperregionen auf die Suche nach einer möglichen Ursache. Dabei fiel aus osteopathischer Sicht vor allem der Oberbauch auf. Der Oberbauch reagierte sensibel auf Druck und die Leberloge wies deutliche Spannungen auf. Die Bewegung der Leber, die normalerweise der Atembewegung folgt, war merklich eingeschränkt.

Leber und Schulter?!

Über bindegewebige Fasern (Faszien) ist der rechte Oberbauch eng mit dem Schultergürtel der selben Seite verbunden. Dieser Zusammenhang lässt sich häufig auch im Symptomverlauf zurückfinden. Um die rechte Schulter zu entlasten, begannen wir mit einer Behandlung des Oberbauches. Zwölffingerdarm, Leber und Zwerchfell standen dabei im Fokus. Über die Behandlung einzelner Muskelketten der Schulter wollten wir zur allgemeinen Reduzierung der muskulären Spannungen beitragen. Wir empfahlen Herrn Boger zusätzlich eine naturheilkundliche Behandlung der Leber zur Unterstützung der osteopathischen Behandlung. Die Leber ist unser größtes Stoffwechselorgan und für viele Körperfunktionen von entscheidender Bedeutung. Eine ungesunde Lebensweise mit einseitiger Ernährung belastet auf Dauer die Leber. Hinzu kommen oft Umweltgifte und die Einnahme bestimmter Medikamente. Alles, was wir in uns aufnehmen, gelangt über den Pfortaderkreislauf zur Leber und wird dort verstoffwechselt. So hat die Leber eine entscheidende Entgiftungsfunktion. Nachdem wir Herr Boger diese Zusammenhänge geschildert haben, gab er an, in den letzten zwei Jahren beruflich sehr viel Stress gehabt zu haben. Regelmäßige Mahlzeiten waren eine Seltenheit geworden. Durch die berufliche Belastung hatte er verstärkt Kopfschmerzen, die er schon seit langen mit den üblichen Schmerzmitteln selbst behandelte. Herr Boger begann eine sanfte pflanzliche Behandlung der Leber mit Löwenzahn, Artischocke und Marinedistel, die er gut vertragen hat.

Es folgten zwei weitere osteopathische Behandlungen, in deren Verlauf sich bereits eine anhaltende Besserung der Schulterbeschwerden zeigte. Nach vier Wochen war Herr Boger nahezu beschwerdefrei. Die Entgiftung der Leber wurde nach 6 Wochen beendet. Zur Freude von Konstantin Boger besserten sich nicht nur die Schmerzen in der Schulter, sondern auch die Kopfschmerzen, wodurch er die Einnahme von Schmerzmitteln weitestgehend reduzieren konnte. Durch die unterstützende Behandlung der Leber fühlte er sich allgemein leistungsfähiger und belastbarer.

Gut für die Schulter

Vorbeugung ist stets die beste Medizin. Gesunde Ernährung schont den Stoffwechsel und damit auch die Gelenke. Regelmäßige Bewegung hält die Schulter frei und beugt Verkrampfungen und Verklebungen vor. So ist zum Beispiel eine sanfte Dehnung, wie sie bei Gymnastikübungen, im Yoga oder Pilates vorkommt, gut geeignet, die eigene Beweglichkeit und Fitness zu steigern. Bei der Schulter ist es wichtig, einseitige Belastungen zu vermeiden. Egal ob im Sport oder durch andere körperliche Betätigungen. Gewohnheitshaltungen sollten immer wieder überprüft werden. Tragen Sie doch einfach mal den Rucksack oder die Tasche über die andere Schulter als sonst üblich. Besonders Menschen, die berufsbedingt viel sitzen müssen, sollten frühzeitig haltungsbedingten Schäden entgegenwirken. Die Biomechanik unseres Körpers ist nicht zum Sitzen gemacht.

Benjamin Hartlieb Der Autor ist staatl. anerkannter Osteopath und Heilpraktiker. Er lebt mit seiner Familie seit 2008 in Pforzheim und leitet die PRAXIS HARTLIEB mit den Schwerpunkten Osteopathie und Therapeutischem Reiten. Seine Praxis ist akademische Lehrpraxis der Hochschule Fresenius und Mitglied im Verband der Osteopathen Deutschland e.V.