Die Sorge, eine allegorische Gottheit, von welcher eine anmuthige Fabel erzählt wird. Sinnend sass sie an den Ufern eines Stromes, dem Spiele seiner Wellen zuschauend; unbewusst ihrer selbst, bildeten ihre Finger aus dem Thon des Ufers eine Gestalt, und siehe es war der Mensch. Sie bat den Jupiter, ihn zu beleben, welches dieser that, worauf er jedoch verlangte, dass der Mensch nun auch ihm gehören solle, wogegen die Sorge stritt, weil sie ihn gebildet habe, und was auch die Erde nicht zugeben wollte, da von ihr der Stoff genommen sei. Saturn, zum Schiedsrichter aufgerufen, entschied: Jupiter solle den Leib nach dem Tode erhalten, die Sorge ihr Geschöpf während seines Lebens besitzen, und sein Name, weil es aus humus (Erde) gebildet, homo (der Mensch) sein.
Aus: Vollmer‘s Mythologie aller Völker (1874). Online: http://www.vollmer-mythologie.de.
Die Botschaft der Fabel ist einfach und klar. Nur im Miteinander und in der Sorge füreinander ist der Mensch lebensfähig. Sein Körper ist eine Leihgabe von Mutter Erde. Sein Name (Homo1) schreibt ihm eine Rolle als Naturwesen vor. Er gehört zu den Sterblichen und nach seinem Tod werden Körper und Geist an die Götter zurückgeführt.
Medizin im Wandel: Nicht selten ist inzwischen die Liste der Nebenwirkungen & Gefahren vieler Medikamenten weit umfangreicher als ihr eigentlich angedachter Nutzen für den Menschen.
Diese zeitlose Botschaft der Cura wurde als Erbe von Generation zu Generation weitergetragen und erinnert an den natürlichen Kreislauf des Lebens: Ein nachhaltiger Prozess des Werdens und Vergehens, bei dem nichts verloren geht. Alles bleibt, wird wiederverwendet oder verwandelt sich. Nachhaltigkeit in Reinform! Allerdings in einem anderen Verständnis als es das Modewort „Nachhaltigkeit“ in der Zeitenwende nahelegt, das in den Medien, im öffentlichen Diskurs, aber auch in der Alltagskommunikation hoch frequent verwendet wird – ohne dass überhaupt deutlich ist, was damit gemeint ist. Was bedeutet der Ausdruck „nachhaltige Gesundheit“?
- Geht es allgemein um die Zukunftsfähigkeit von Entwicklung?
- Geht es um die Verwendung von erneuerbaren Ressourcen?
- Geht es um den langfristigen Erhalt von etwas, das wir als besonders schützenswert erachten?
Letzteres können wir auf die Gesundheit von Menschen übertragen, sodass die Frage aufkommt, durch welche Art von Medizin Gesundheit langfristig und ressourcensparend am besten erhalten werden kann. Etwas weiter gedacht geht es bei dem Thema der Nachhaltigkeit von Gesundheit allerdings nicht nur um die Gesundheit des Menschen. Denn in einer globalen Welt hängt alles miteinander zusammen: Luft- und Umweltverschmutzung beeinflussen nicht nur die menschliche Gesundheit, sondern die Gesundheit aller Lebewesen. Der Zustand von „Mutter Erde“ hat Einfluss darauf, ob wir unsere Gesundheit nachhaltig sichern können. Eine ganzheitliche Sichtweise ist daher erforderlich. Sie stützt sich auf den Gedanken der Naturheilkunde, dass alles miteinander verbunden ist und die gesamte Natur einem Mechanismus der Selbstregulation unterliegt.
Die Denk- und Herangehensweisen der modernen Medizin und des bestehenden Gesundheitssystems hingegen fördern nachhaltige Gesundheit keineswegs. Das noch herrschende Paradigma bedeutet sogar das Gegenteil von Nachhaltigkeit. So weisen zahlreiche Studien beispielsweise darauf hin, dass bestimmte Schmerzmittel bei marginaler Wirkung deutliche Risiken für kardiovaskuläre, gastrointestinale und renale Nebenwirkungen mit sich bringen. Bei längerer Einnahme hoher Dosen erhöht sich sogar das Mortalitätsrisiko. Der amerikanische Arzt und Medizinkritiker Robert Mendelsohn hat bereits in den 1980er Jahren darauf hingewiesen, dass der alte und erste Grundsatz der Hippokratischen Ethik primum nihil nocere (= vor allem nicht schaden) in der modernen Medizin abgelöst worden ist durch die neue Maxime, „unternimm auf jeden Fall etwas“. Mendelsohn beschreibt in seiner Kritik des modernen Medizinbetriebs, dass nicht mehr gesunder Menschenverstand, sondern „messbare Information“ und Zahlen das letzte Wort haben. Am Beispiel von Fieber zeigt er, dass die gemessene Temperatur dem erfahrenen Arzt aber nur im Kontext eines bestimmten Patienten und einer konkreten Situation Aufschluss über dessen Zustand geben kann – der Wert an sich ist eigentlich „bedeutungslos“.
Der Kreislauf des Lebens: Nicht nur in der Medizin sollte der Focus wieder auf einem nachhaltigen und ganzheitlichen System liegen.
Die moderne Medizin kennt kein „Zulassen“, kein „Zuwarten“ und kein „Zutrauen“ mehr. Sie möchte alles besser machen als die Natur, wodurch sie einer „nachhaltigen Gesundheit“ eher im Wege steht, aber den Interessen eines kommerzialisierten Gesundheitssystems nach immer mehr Medikalisierung durchaus gerecht wird. Bereits vor mehr als hundert Jahren hat der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler die Probleme einer Medikalisierung durch die Behandlung mit Medikamenten vortrefflich auf den Nenner gebracht. Er wies selbstkritisch darauf hin, dass „wir viel zu wenig wissen, wie manche Krankheiten ohne ärztliche Eingriffe verlaufen, und da wir, soweit wir es wissen, diese Kenntnis in autistischer Weise von unseren medizinischen Überlegungen absperren, statt sie zur Basis unserer therapeutischen Handlungen und Forschungen zu machen. Wir verschreiben den Patienten auf Rezepten und den Ärzten in unseren Lehrbüchern eine Menge Mittel, von denen wir nicht wissen, ob sie nötig oder nützlich, ja oft nicht recht, ob sie schädlich sind und stellen sie häufig nebeneinander, ohne den relativen Wert derselben zu kennen. Und was das Schlimmste ist, wir tun nicht alles Erdenkliche, um aus diesem Zustande herauszukommen“.
Anders als die Schulmedizin kennt die Naturheilkunde Mittel und Wege der Förderung nachhaltiger Gesundheit. Sie versteht, dass Gesundheit erst dann nachhaltig wird, wenn Menschen in ihren jeweiligen Lebenswelten sowie ausgehend von eigenen Ressourcen und Fähigkeiten selbst zu Protagonisten ihrer Gesundheit werden. Naturheilkunde geht von dem Gedanken der Selbstregulation und dem Wirken eines „inneren Arztes“ aus, der allenfalls Impulse von außen bedarf, wenn die Selbstregulation überfordert ist.
In der modernen Medizin immer öfter vergessen: unsere Selbstheilungskräfte!
Die amerikanische Ärztin und Bestseller-Autorin Lissa Rankin hat in ihrem Buch „Mind over Medicine“ zahlreiche Beweise aus wissenschaftlichen Studien für das Wirken der Selbstheilungskräfte gesammelt und fasst den Forschungsstand zusammen: „Wenn wir zufrieden und glücklich, entspannt und stressfrei sind, ist der Körper zu einem erstaunlichen, ja wundersamen Akt der Selbstreparatur fähig. In diesem entspannten Zustand können DNA-Fehler behoben werden, Enzyme setzen Reparaturprozesse in Gang, Immunzellen vertilgen Entzündungserreger, freie Radikale werden unschädlich gemacht und Reparaturzellen können ihre lebensrettende Wirkung entfalten. Der Körper ist bereit für ein Wunder. Wir müssen nur die optimalen Voraussetzungen dafür schaffen, damit er seine natürlichen Fähigkeiten auch zur Entfaltung bringen kann“.
„Nachhaltige Gesundheit“ ist also nicht das Ergebnis eines oft hektischen Machens und Tuns im modernen Medizinbetrieb, sondern sie gedeiht in einem Klima, das den Geist der Cura spüren lässt. Geist der Cura bedeutet, dass Fürsorge und Pflege am Anfang einer jeden Heiltätigkeit stehen. Sie sind sogar älter als die Medizin und äußern sich in der Präsenz und dem Beistand, der Entlastung des Leidenden und in der liebevollen Zuwendung. Medizin setzt Fürsorge und Pflege voraus und begleitet diese. Nicht umgekehrt! Kehrt sich die Reihenfolge um, geben wir ein ganzheitliches Menschenbild auf und ergeben uns einem mechanistisch-reduktionistischen Verständnis einer Medizin der bloßen Reparatur. Fürsorge und Pflege bringen Geist und Menschlichkeit in die Medizin.
Eine Vision für ein gesundes Gesundheitswesen kann sich also auf die Botschaft der Cura aus der antiken Mythologie gründen. Im Mittelpunkt eines Cura-Wesens stehen demnach Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit. Im Miteinander der Menschen gedeiht Gesundheit am besten. Denn sie entsteht dort – so die Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung der Weltgesundheitsorganisation –, wo „man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selbst Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen“.
Ellis Huber, der langjährige Präsident der Berliner Ärztekammer, fordert daher in seinem Geleitwort zu dem Buch „Der Valebo-Effekt“: „Wir müssen couragiert und beherzt neue Wege zu einer menschlichen Medizin aufzeigen. Es geht dabei nicht mehr um Kontroversen oder strittige Diskurse. Es geht um Lösungen und den Mut zu einer kreativen Zerstörung der vorhandenen Strukturen, die das Humane missachten: ‚Cura als conditio humana‘ heißt der Weg, den dieses Buch aufzeigt. Es ist ein Wegweiser hin zu einer gesünderen Kultur, zu One Health in One World“.
Das neue Buch von Professor Schröder: jetzt erhältlich auch im Naturheilverein Pforzheim in der Bücherzentrale!
Prof. Dr. Hartmut Schröder studierte Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg und promovierte in Linguistik an der Universität Bielefeld. Von 1990 bis 1993 war er Professor für Angewandte Linguistik und Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaften an der Universität Vaasa (Finnland). Seit 1994 Inhaber des Lehrstuhls für Sprachgebrauch und Therapeutische Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und dort Gründer des Instituts für transkulturelle Gesundheitswissenschaften. Initiator des ersten universitären Masterstudiengangs für Komplementäre Medizin. An der privaten Steinbeis-Hochschule in Berlin leitet er das Steinbeis-Transfer-Institut für Therapeutische Kommunikation und integrierte Gesundheitsförderung.