Bei der Silent Inflammation handelt es sich um eine über Jahre oder Jahrzehnte hinweg unbemerkte, unterschwellige Entzündung unbekannter Ursache. Sie betrifft den gesamten Organismus und ist auch im Routinelabor nicht auffällig. Es besteht die Annahme, dass sie eines Tages insbesondere bei hinzukommenden Belastungen als chronische Erkrankung manifest wird. Dazu zählen neben Arthrose und Arteriosklerose die Allergien, das allergische Asthma, die metabolischen und Autoimmunerkrankungen sowie auch die bösartigen und neurologischen Leiden mit Demenz, Parkinson und Multipler Sklerose.
Alzheimer & Demenz – vielleicht die unterschätzen Folgen einer “Silent-Inflammation”?!?
Bevor jedoch eine latente Entzündung zu einer Gewebeschädigung führt, treten nicht selten frühzeitig Warnzeichen in Form von Befindensstörungen oder passageren entzündlichen Reizungen auf. Diese können sich z. B. im zentralen Nervensystem als depressive Episoden oder Konzentrationsstörungen äußern. An der Haut machen sie sich gegebenenfalls mit Hautunreinheiten oder einem latenten Juckreiz bemerkbar, an der Mundschleimhaut mit wiederkehrenden Zahnfleischentzündungen oder Aphten und an der Kopfhaut vielleicht mit einem massiven Haarverlust. Des Weiteren treten bereits bei Kindern gehäuft Mittelohr- oder Mandelentzündungen auf. Werden diese ohne Berücksichtigung der Ursache nur antibiotisch oder operativ versorgt, wird die Stille Entzündung unvermindert weiter schwelen.
F. X. Mayrs Therapieerfolge durch Schulung, Säuberung und Schonung
Der österreichische Arzt und Gastroenterologe Franz Xaver Mayr betrieb schon Anfang des 20. Jahrhunderts eine akribische Diagnostik. Er stammte aus Gröbming im steirischen Ennstal. Auf der Suche nach dem Ursprung der Gesundheit schenkte er frühzeitig dem Verdauungstrakt seine besondere Aufmerksamkeit. Bekannt wurde er mit der Milch-Semmel-Kur, die in erweiterter Form bis heute angewendet wird.
Die Kuhmilch enthielt zu seiner Zeit neben den ungesättigten Fettsäuren noch alle anderen lebenswichtigen Nährstoffe, und der Weizen war nur gering selektiert. Die luftgetrocknete Semmel diente durch langes Kauen zur Wiederertüchtigung der nach Mayr unterbeanspruchten Mundspeicheldrüsen. Er erachtete eine hastig verschlungene, obendrein mit einem Getränk hinuntergespülte Speise als einen der gravierenden Ernährungsfehler.
Der Darm ist ein Muskelschlauch. Seine Ringmuskulatur erfüllt die Aufgabe, den Speisebrei durch Kontraktionen in engen Kontakt mit der Schleimhaut zu bringen. Dadurch können die durch Speichel und Bauchspeichel aufgespaltenen Nährstoffe die Darmwand passieren, ins Blut übertreten und zu den Zellen aller Organe gelangen.
Abb. 2 Auszug aus den Farbatlanten der Medizin von Frank H. Netter
Abb. 3 Auszug aus den Farbatlanten der Medizin von Frank H. Netter
Zwerchfellbruch, Hohlkreuz und Witwenbuckel
Wie im ganzen Körper und im Gehirn stellt sich gegen Abend ein Energiemangel ein. Wenn die Nahrung dann unverdaut in einem schlaffen Darm verweilt, und es dort feucht und warm ist, beginnt sie zu gären und Blähungen zu erzeugen. Je stärker die Darmschlingen aufgebläht sind, desto mehr Raum beanspruchen sie. Zuerst verschaffen sie sich Platz, indem sie eine Vorwölbung der Bauchdecke verursachen. Verstärkend entsteht bei einer schwachen Rückenmuskulatur häufig zusätzlich ein Hohlkreuz, indem das Becken nach vorn kippt und sich der Oberkörper kompensatorisch etwas nach rückwärts ausrichtet. Je nach Ausprägung zeigt dann die Blickrichtung nicht mehr ganz gerade aus, sondern leicht aufwärts. Als Ausgleich erfolgt eine Gegenkrümmung der oberen Brustwirbelsäule mit Formung des sogenannten Witwenbuckels. Verspannungen mit Rücken-, Nacken- oder Kopfschmerzen sind nicht selten die Folge. Des Weiteren wird das Zwerchfell angehoben und die Lunge eingeengt. Daraus resultiert eine flache Atmung sowie oftmals eine Hiatushernie (Zwerchfellbruch) mit häufigem Aufstoßen oder Sodbrennen. Gleichzeitig führt die Absenkung des Darmpaketes zu einer Venen- und Lymphstauung sowie gegebenenfalls auch zu einer Harn- oder Stuhlinkontinenz.
Der „Schmerz der Leber ist die Müdigkeit“. Sie ist nach dem Essen ein Hinweis auf eine Überlastung und eventuell auch auf eine Nahrungsunverträglichkeit. Diese ist wiederum der Durchlässigkeit der Darmwand infolge einer Schleimhautentzündung geschuldet und steht zumeist in Verbindung mit einer bakteriellen Fehlbesiedelung.
Abb. 1 Mayrs Skizzen zu Skelettdeformierungen als Folge aufgeblähter Darmschlingen
Flüssiges sollst Du essen, Festes sollst Du trinken (Hippokrates 460 v. Chr.)
Auf eine entspannte Atmosphäre legte Mayr bei der Nahrungsaufnahme besonderen Wert. Sie bedeutete für ihn die erste wichtige Voraussetzung für eine gute Verdauung, da durch gründliches Kauen und Einspeicheln bereits im Mund die Aufspaltung der Kohlenhydrate in Einfachzucker einsetzt. Dann entsteht im Bauch ein angenehm leichtes Gefühl. Wird hingegen zu hastig, zu viel, zu gestresst oder zu spät abends gegessen, stellt sich ein Völlegefühl ein. Auch können Bauchschmerzen oder Rhythmusstörungen auftreten. Diese Symptome bilden sich zwar schnell wieder zurück. Halten jedoch Stress und Zeitnot an, entsteht nach Mayr der entzündliche Gas-Kot-Bauch (Abb. 1).
In einer zweiten Etappe spalten die Enzyme der Bauchspeicheldrüse die Nahrung im oberen Dünndarm vollständig auf. Nur als Einzelmoleküle können sie die gesunde Darmwand passieren. Dann bleibt der Bauch auch schlank. Ist er überfordert, kommt es zu Blähungen, die für eine Entzündung der Darmwand verantwortlich sein können.
Eine augenscheinlich einfache Therapiemethode
Mayr erkannte schon damals, dass der Darm in der Lage ist, eine entzündliche Reizung der Darmwand selbst zu kurieren. Alles was er dazu benötigt, ist eine kurze Auszeit. Diese Beobachtung brachte Mayr auf die Idee, den Verdauungstrakt mit einer ballaststoff-armen und monotonen Diät für eine kurze Zeit zu entlasten, d. h. zu schonen. Mit dieser einfach anmutenden Methode erzielte er so große Erfolge, dass sich sein Ruf bald über die Landesgrenzen hinaus verbreitete und sein Schüler Dr. Erich Rauch von einem erfolgreich kurierten Patienten das Kurhaus in Dellach am Wörthersee gesponsert bekam.
Heute wird bei der Mayr-Kur die Weizensemmel durch Brötchen oder Brei aus Dinkel-, Hafer-, Hirse- oder Buchweizenmehl ersetzt sowie die Milch durch Jogurt oder Frischkäse. Dazu werden Aufstriche aus Wurzelgemüse gereicht. Wird die Milde Ableitungsdiät gewählt, kommt zur Mittagsmahlzeit anstelle der Gemüsesuppe ein leicht verdauliches Gemüsegericht mit eventuell einem gedünsteten Fisch oder Geflügel hinzu. Abends gibt es nur Gemüsesuppen oder eine Bouillon, damit sich der Darm über Nacht reinigen kann. Nach Kurende müssen sich die Verdauungsorgane erst wieder langsam an eine variantenreiche Nahrung mit nur zwei Hauptmahlzeiten – morgens und mittags – sowie an eine leichte Abendmahlzeit gewöhnen. Diese sollte selbst nach Übergang zur Normalkost nur aus einer Gemüsesuppe oder gegartem Gemüse mit gegebenenfalls einem pochierten Fisch bestehen.
Ein Zuviel an Zucker und Brot verzuckert die Arterienwände und vermehrt die Gärungsbakterien
Sie kennen aus den Medien die Werbung für Probiotika (Darmbakterien). Was dabei nicht erwähnt wird, ist, dass wir es sind, die das Milieu für sie schaffen. Wenn wir regelmäßig zu viel Brot und andere Mehlprodukte verzehren, nehmen wir mehr Zucker auf als wir brauchen. Dann kommt es über die Bildung der AGEs (Advanced glycation end products) zu einer Verzuckerung der Blutgefäße. Bei anhaltender Zuckerzufuhr entzünden sie sich und verkalken. Das leistet v. a. dem Bluthochdruck Vorschub, was wiederum das Risiko für Herz- und Hirninfarkte um ein Vielfaches erhöht.
Volkskrankheiten: Herzinfarkte & Herz-Kreislauf-Krankheiten sind eine der häufigsten Todesursachen der modernen, westlichen Welt.
Zum anderen entstehen die beschriebenen entzündlichen Prozesse im Darm, da die Gärungsbakterien Zucker lieben. Dann beginnen sie zu wuchern und die nützlichen Bakterien zu verdrängen, die für uns z. B. wichtige Vitamine (B1, B2, B6, B12 und K) sowie die antientzündliche Buttersäure produzieren.
Ähnliche Probleme kann ein schwer verdauliches Abendessen bewirken, wenn es am Ende des Tages nicht nur dem Gehirn an Energie mangelt. Sind auch Bauchspeicheldrüse, Leber und Darm „müde“, kann beispielsweise ein Steak nicht vollständig in seine Bausteine (Aminosäuren) gespalten und resorbiert werden. Unverdaute Rückstände gelangen dann in den Enddarm. Dort entstehen durch Fäulnisprozesse giftige Stoffe (Abb. 3). Bei Häufung kommt es im Zusammenspiel mit einer durch Verfettung überlasteten Leber, der Nicht-alkoholischen-Fettleber, zu einer Autointoxikation (Selbstvergiftung).
Somit können selbst Fleisch oder Fisch aus biologischer Tierhaltung ein entzündliches Leaky-Gut-Syndrom auslösen.
Leaky-Gut-Syndrom: dieser Teufelskreis muss mit einer Darmsanierung durchbrochen werden!
Auswirkungen des Leaky-Gut-Syndroms
Beim einem „löchrigen“ Darm geht der dichte Zellkontakt verloren. Dabei werden die Abstände zwischen den Zellen so groß, dass nicht nur Erreger wie Bakterien oder Viren die Darmwand passieren können, sondern ebenfalls unverdaute Nahrungspartikel. Das begünstigt direkt die Entstehung von Nahrungsunverträglichkeiten oder Allergien. Ein durch Selektion oder Gentechnik veränderter Weizen besitzt erfahrungsgemäß obendrein eine allergiefördernde Wirkung. In ähnlicher Weise gilt das heute auch für die durch die moderne Landwirtschaft veränderte Milch.
Andererseits kann es zu einem Mangel an lebensnotwendigen Nährstoffen führen, wenn die mit einem Allergietest als unverträglich ermittelten Lebensmittel längerfristig gemieden werden. Diesen Teufelskreis gilt es mit einer Darmsanierung zu durchbrechen.
Ein abendlicher Hunger bedeutet, dass zum Frühstück und Mittagessen zu wenig Eiweiß zugeführt wurde, und ein Naschhunger, dass im Blut ein Mikronährstoffmangel vorliegt. Wird dann versucht, das Defizit abends mit gärungserzeugenden Obst- und Rohkost- Salaten oder schwer verdaulichen Wurst- und Käsebroten auszugleichen, fällt am nächsten Morgen das Frühstück aus. Da sich der Darm nachts auch ausgeruht hat, ist man ja noch gesättigt. Das ist wiederum der Auftakt für die nächste Unterversorgung an Eiweiß, da sich der tägliche Proteinbedarf mit einer Hauptmahlzeit kaum decken lässt.
Ein gesunder Darm stärkt das Immunsystem
Der Darm hat mit seiner annähernd tennisplatzgroßen Oberfläche den größten Kontakt zur Umwelt (Abb. 2). Daher befinden sich auch 80% der Immunzellen an seinen Wänden. Von da aus werden sie z. B. im Falle eines grippalen Infektes zur Verstärkung der lokalen Abwehr in die oberen Luftwege gerufen. Sind sie aber wegen eines entzündeten Darms permanent vor Ort im Einsatz, können sie von dort nicht abkommandiert werden. Es entsteht eine Abwehrschwäche. Sind diese mobilen Truppen jedoch bei einer gesunden Darmwand in der Lage, sofort zu Infektionsbeginn vom Darm in den Rachenraum zur Abtötung von Influenza-, Corona- oder sonstiger Viren auszuschwärmen, kommt der Infekt entweder stark abgemildert oder oftmals gar nicht erst zum Ausbruch.
Anfälligkeit für Influenza, Viren, schwaches Immunsystem? Die Ursache kann im Darm liegen…
Hausputz innerhalb der Zellen und im Zellzwischenraum
Außerdem führt die Förderung der Autophagie (Selbstreinigung im Zellinneren) in allen Zellen einerseits zu einer Regeneration der Mitochondrien (Kraftwerke der Zellen), und damit zu einem deutlichen Energieschub. Zum anderen werden die im wässrigen Zwischenzellraum abgelagerten Abbaustoffe durch diesen „Hausputz“ entsorgt. Damit wird die Diffusion der Nährstoffe zu den Zielzellen erleichtert und ihre Auswertung optimiert. Deshalb wird das Fasten auch „der königliche Weg“ genannt.
Dem Darm wurde von Mayr eine Wurzelfunktion zugesprochen, die bildhaft so erklärt werden kann: Faulen die Wurzeln einer Pflanze, bekommt sie zuerst braune Blätter und verkümmert bei einem anhaltenden Nährstoffmangel. Analog kann beim Menschen ein chronisch entzündeter Darm über Jahre hinweg mit unspezifischen allergischen Hauterscheinungen einher gehen, bevor es eines Tages womöglich zum Ausbruch einer autoimmunen Hautkrankheit wie einer Psoriasis (Schuppenflechte) oder Vitiligo (Weißfleckenkrankheit) kommt.
Verursacht ein entzündeter Darm die Silent Inflammation?
Eine Entzündung macht prinzipiell nicht an den Organgrenzen halt. Sie kann sich somit zum einen auf die Nachbargewebe ausdehnen, und zum anderen werden die von ihr ausgehenden Entzündungsbotenstoffe mit dem Blut zu allen Organen transportiert. Daher steht ein anhaltend entzündeter Darm stark im Verdacht, neben anderen Herden (wie einem entzündeten Fettgewebe bei Adipositas) an der Silent Inflammation ursächlich beteiligt zu sein. Am ehesten manifestiert sie sich an einer genetisch bedingten Schwachstelle, zumeist infolge eines zusätzlichen Auslösers, der das Fass zum Überlaufen brachte. Dazu zählen virale und bakterielle Infekte, anhaltender Stress, Schwermetall- und Mikroplastikbelastungen sowie ein seelischer Schock.
What you can do to fight it
Wird dem Verdauungstrakt ein bis zwei Mal im Jahr mit einer Heilfastenkur eine Schonungszeit von mindestens 3 Wochen gegönnt, kann laut Erich Rauch in allen Zellen einschließlich des zentralen Nervensystems eine gründliche Regeneration und Selbstheilung stattfinden. Sowohl die stillen als auch die manifesten Entzündungen lassen heilsam nach, und mit ihnen erfahrungsgemäß die unterschiedlichsten Leiden. Aus dieser Beobachtung heraus schloss Mayr, dass der Ursprung von Krankheit in einem erkrankten, und umgekehrt der Ursprung der Gesundheit in einem gesunden Darm lokalisiert ist. Mit den modernen bildgebenden und laborchemischen Verfahren konnten seine Erkenntnisse inzwischen in über 1000 Studien bestätigt werden.
Zusammengefasst bedeutet Heilfasten eine Sanierung aller Organe einschließlich von Darm und Gehirn. Es wirkt sowohl kurativ, als auch präventiv, denn nach abgeheilter Entzündung der Darmwände können die Immunzellen im Bedarfsfall sofort zu den jeweiligen Hotspots vordringen und Eindringlinge sowie die multiplen, täglich produzierten Krebsvorläuferzellen eliminieren. Eine gesunde Darmwand sorgt somit mit einer intakten Darmflora nicht nur für die Herstellung von antientzündlichen Substanzen und Vitaminen, sondern sie verfügt auch über eine jeder Zeit einsatzfähige Armee von Immunzellen zur Sicherstellung der Abwehr im gesamten Organismus.
Aus diesen Gründen besaß für Mayr die Darmgesundheit oberste Priorität. Entsprechend äußern sich zumeist die ersten Erfolge einer Mayr-Kur recht rasch mit einer muskulären und seelischen Entspannung, einem strahlenderen Teint, mehr Energie sowie einem feineren Geruchs- und Geschmackssinn.
Fachärztin für Physikalische & Rehabilitative sowie für Allgemeinmedizin
E-mail: praxis@barbara-gasnier.de