Zeitlose Heilkunst als Barfußmedizin

„Die zeitlose Botschaft der Heilkunst: Das Wunder im eigenen Selbst. Gedanken zur Natur- und Kulturheilkunde“ von Professor em. Dr. Hartmut Schröder

„Zeitlose Heilkunst“ als „Barfußmedizin“?

Das Thema meines Beitrages „Die zeitlose Botschaft der Heilkunst“ ist erklärungsbedürftig. Als Sprachwissenschaftler frage ich mich zunächst, was das Wort „zeitlos“ bedeutet und ob es überhaupt eine zeitlose Heilkunst geben kann? Unsere Erfahrung lehrt uns ja, dass Heilkunst zutiefst in einen historischen und kulturellen Kontext eingebunden ist, sich also in den verschiedenen Etappen und Kulturen mehr oder weniger stark voneinander unterscheidet. Als zeitlos verstehen wir hingegen etwas, was unabhängig von Raum und Zeit Bestand hat, was eigentlich immer gilt: In den frühen Stammesgesellschaften bis hin zu modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften sowie in Europa und auf allen Kontinenten.

Natürlich kann man davon ausgehen, dass es etwas Gemeinsames in jeder Heilkunst gibt: Kranken Menschen zu helfen, sie zu pflegen und – wenn möglich – zu heilen. Ist das aber schon die zeitlose Botschaft der Heilkunst? Oder gibt es noch mehr, was sozusagen auch die Essenz einer jeden Heilkunst erkennen lässt, was unabhängig von Methoden und Verfahren, von Hilfsmitteln und von Theorien Geltung hat? Ich meine, dass eine solche Essenz am ehesten in dem Wort Barfußmedizin bzw. Barfußarzt zum Ausdruck kommt – eine Bezeichnung, die in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. In Wikipedia finden wir den Hinweis, dass die Bezeichnung ursprünglich aus der Zeit der chinesischen Kultur-Revolution stammt, als man eben Personen aufgrund des Ärztemangels auf dem Land in traditioneller chinesischer Medizin ausbildete, die dort von Dorf zu Dorf ziehen konnten, hauptsächlich auch akupunktierten und mit chinesischen Kräutern arbeiteten – also weitgehend ohne technische Hilfsmittel und ohne akademische Ausbildung. Neben dieser engen Bedeutung gibt es eine weite Bedeutung, die darauf zielt, dass durchaus ausgebildete Ärzte in bestimmten Situationen ohne nennenswerte Hilfsmittel arbeiten bzw. arbeiten müssen. So gibt es in den Medien zahlreiche Berichte wie: „Als Barfußarzt in Afghanistan“. Des Weiteren wird der Begriff in den Medien aber auch „in abwertender Weise für (vermeintlich) unqualifizierte Mediziner oder Medizinergruppen, etwa in der Bedeutung von Quacksalber, verwendet.“ 1)

Mit Barfußmedizin bzw. Barfußarzt wird in diesem Beitrag durchaus etwas angedeutet, was mit unserem Thema der Zeitlosigkeit der Heilkunst in einem Zusammenhang steht: Ein Arzt kann auch heute ohne Hilfsmittel für kranke Menschen etwas tun bzw. kann auch jemand ohne eine akademische medizinische Ausbildung kranken Menschen helfen.

“Barfußmedizin” – eine sinnbildliche Bezeichnung für “Heilung ohne Hilfsmittel”.

Eine Denkaufgabe: Wann braucht man beim Segeln einen Außenbordmotor?

Dass dies nicht nur möglich, sondern in bestimmten Situationen sogar notwendig ist, mag die folgende Denkaufgabe verdeutlichen, die ich Ihnen aufgeben möchte: Übertragen Sie den Begriff der Zeitlosigkeit einmal auf die Möglichkeit des Menschen, sich auf Wasser fortzubewegen. Vielleicht fällt Ihnen sofort ein einfaches Boot ein. Auch ohne großartige technische Hilfsmittel konnten sich Menschen schon sehr früh in der Geschichte Boote bauen. Und da war es dann auch gar nicht mehr weit zum nächsten Schritt: Segel zu setzten und zu navigieren, was bereits aus der Frühgeschichte der Menschheit bekannt ist. Stellen Sie sich also mal ein einfaches Segelboot vor. Es nutzt das Wasser und es nutzt den Wind sowie das Erfahrungswissen der Bootsbauer und der Segler. Trotz einer rasanten technischen Entwicklung seit der ursprünglichen Erfindung dieses genialen Fortbewegungsmittels zu Wasser sind Segelboote uns auch heute noch bekannt und vertraut. Aber fast alle modernen Segelboote haben im Unterschied zu ihren Vorläufern auch einen Außenbordmotor. Und ich frage sie jetzt einfach mal etwas vor dem Hintergrund unseres Themas: Wann bracht man heute beim Segeln eigentlich einen Außenbordmotor und warum? Ich komme am Ende meiner Ausführungen wieder auf dieses Bild zurück.

 

Ein Gedankenspiel: Was bleibt bei einem Stromausfall?

Lassen Sie mich nun mit einer anderen Frage fortsetzen: Warum ist es überhaupt wichtig, sich mit dem Thema der Zeitlosigkeit der Heilkunst zu beschäftigen? Dazu ein Ausblick auf die Medizin im Jahr 2030. Axel Haverich, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax-, und Transplantations- und Gefäß-Chirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover, hat kürzlich einen Ausblick 2) gegeben und dabei festgestellt, dass sich das medizinische Wissen mindestens alle zehn Jahre verdoppelt. Diejenigen, die Medizin studiert haben, wissen, was das bedeutet: Alle zehn Jahre noch mal die gleiche Menge hinzuzulernen – ohne das Alte jedoch zu vergessen. Im Laufe eines Ärztelebens wahrscheinlich drei- oder viermal, wobei die Geschwindigkeit weiter ansteigen kann. Allerdings bedeutet dieser Wissenszuwachs keineswegs – so Haverich –, dass wir „in zehn Jahren doppelt so gesund sein werden wie heute“:

„Das Gegenteil wird sogar eintreten, wenn sich das Gesundheitsbewusstsein der Bürger mit ausdrücklicher Reduktion von Risikofaktoren wie Rauchen, ungesunder Ernährung und Bewegungsarmut nicht positiv verändert. Im gleichen Maße dürfen – auch mit globaler Perspektive – humanpathologische Noxen aus der Umwelt wie z.B. die Feinstaubbelastung nicht weiter wachsen.“

In Vergessenheit geraten: Die Heilkraft der Natur – nur sie wird uns auch in Notsituationen stets zur Verfügung stehen!

Ich werde auf die Prognose von Axel Haverich noch einmal zurückkommen, möchte Sie aber nun zu einem Gedankenspiel einladen. Stellen Sie sich vor, was wirklich nicht weit hergeholt ist, es fällt in einer Stadt wie Berlin der Strom aus. Nicht nur einen Tag, sondern zwei, drei und mehr Tage. Sogar der erste Tag könnte bereits Unannehmlichkeiten mit sich bringen. Sie wissen ja, dass alles miteinander verbunden ist: Wasser haben wir dann also sehr bald nicht mehr; Verkehrsmittel können nicht fahren; Computer und Telefone funktionieren nicht. Das heißt, wir sind relativ schnell, vielleicht nach einer Woche, in einer Situation, wo wir auch die technischen Mittel der modernen Medizin nicht mehr oder nur noch sehr begrenzt nutzen können; selbst Medikamente sind nicht mehr verfügbar; Operationen in Krankenhäusern können nicht mehr stattfinden. In einer solchen Situation werden Mediziner wohl oder übel zu Barfußärzten, um überhaupt etwas für die Versorgung kranker Menschen zu tun. Möglicherweise zeigt so eine Situation auch, was Zeitlosigkeit der Heilkunst bedeuten kann; denn es bleiben zumindest die vier folgenden Möglichkeiten für Heilung:

  1. Eine grundlegende Haltung: Da sein! Den kranken Menschen nicht alleine lassen!
  2. Die Heilkraft der Natur: Die Mittel der Natur nutzen!
  3. Die Heilkraft der Kultur: Die Kraft unseres Geistes und Bewusstseins nutzen!
  4. Das Wunder in unserem eigenen Selbst: Den kranken Menschen in seiner Selbstwirksamkeit stärken und die Kraft der Selbstheilung anstoßen!


Die grundlegende Haltung: Da sein! Den kranken Menschen nicht alleine lassen!

Ich komme zum ersten Punkt. Eine aus sich heraus vielleicht schon helfende Haltung in der vorgestellten Notsituation beinhaltet zunächst einmal: Da sein! Den kranken Menschen nicht alleine lassen! Und vor allem: Nicht zu schaden durch unbedachte Handlungen! Dies lässt sich so bereits aus dem Eid des Hippokrates ableiten, worauf ich noch eingehen werde.

Wenn wir einmal in Gedanken zu den ganz frühen menschlichen Gemeinschaften zurückgehen, die noch nicht über eine entwickelte Heilkunst verfügten, so stellt das Gebot einer empathischen Präsenz in Verbindung mit einer eher zurückhaltenden und achtsamen Haltung hinsichtlich therapeutischer Interventionen möglicherweise den historischen Ausgangspunkt der Heilkunde dar. Noch für die antiken Ärzte stand an allererster Stelle: nicht zu schaden; an zweiter Stelle: vorsichtig zu sein; erst an dritter Stelle: zu heilen. Dass dieses schon im Eid des Hippokrates genannte Gebot des primum nihil nocere auch in unserer Zeit Aufmerksamkeit verdient, zeigt eine aktuelle Studie zu den Folgen von Ärztestreiks in Kliniken, die etwas Paradoxes erkennen lässt: Wenn Ärzte streiken gibt es weniger Tote. Quelle dieser Aussage ist eine der renommiertesten Zeitschriften der modernen Medizin: das British Medical Journal 3). Eine mögliche Erklärung gibt der Medizinjournalist Werner Bartens in der Süddeutschen Zeitung: Wenn Ärzte streiken, dann streikt nicht der Notdienst. Denn das würde ja jeder ärztlichen Ethik widersprechen. Das heißt, dort wo wirklich Not ist, wird auch geholfen. Aber das, was nicht stattfindet, sind eben geplante Operationen und invasive Diagnostiken. 4)

Es verwundert daher nicht, dass es jüngst auch innerhalb der Schulmedizin Initiativen gibt, die eine sogenannte Überversorgung problematisieren und unter dem Namen „Choosing Wisely“ darauf hinweisen: When it comes to your health sometimes LESS is more 5). In Deutschland hat die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin unter dem Motto „Klug entscheiden“ eine Initiative gestartet mit der ausdrücklichen Absicht, dafür zu „sensibilisieren, klug zu entscheiden und nicht alles medizinisch Machbare zu tun“ 6). Denn auch Überversorgung kann Patienten körperlich und psychisch schaden. 7)

Der Dreisatz: primum nihil nocere – secundum cavere – tertium sanare (zuerst nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens – heilen) galt genau in dieser Reihenfolge, die wohl als grundlegende Haltung spätestens dann wieder angebracht wäre, wenn eine – wie in unserem Gedankenspiel angenommene – Notsituation eintreten würde.

 

Lassen Sie Ihre Gedanken einmal spielen: wann braucht man zum Segeln einen Außenbordmotor?

Im Kontext dieses Dreisatzes stellt sich natürlich die Frage, was überhaupt das Wort Heilen bedeuten kann in einer Situation, wo das Machen in einem naturwissenschaftlich-technischen Verständnis von Heilkunst gar nicht mehr oder nur noch sehr begrenzt möglich ist. Der Philosoph Ivan Illich hat in diesem Zusammenhang das wohl ursprüngliche Verständnis des Heilens sehr einfach und zutreffend zugleich beschrieben: „Heilen ist meist eine traditionelle Art und Weise, Menschen zu pflegen und zu trösten, während sie genesen.“ 8) In einem solchen Verständnis von Heilen nehmen Ärzte eine Haltung der Demut ein und verstehen ihre Rolle darin, Impulse zu geben sowie einen Rahmen zu schaffen, in dem Heilung geschehen kann. Heilung ist in dieser Hinsicht immer Selbstheilung, womit ein innerer Prozess der Selbstregulation gemeint ist, der freilich bisweilen äußerer Anstöße bedarf. So heißt es dann auch bei Alfred Goldscheider, einem Klassiker der Medizingeschichte des 19. Jahrhunderts und dem Nestor der modernen Neurologie: „Heilen ist immer Einfluss gewinnen auf die Kräfte, welche die Substanz formen.“ 9)

Was sind das aber für Kräfte, die die Substanz formen? Gemeint sind damit wahrscheinlich die Kräfte der Natur selbst sowie Informationen aus dem kulturellen Kontext, die wir im weiteren Verlauf noch thematisieren werden. Etymologisch betrachtet kann der Begriff Information vor allem als ein „form- und sinngebendes Prinzip“ verstanden werden. Abgeleitet wird Information nämlich aus dem Lateinischen, wo forma etwa „Gebilde, Gepräge, Gestalt“ meint und in-formare dann soviel bedeutet wie „etwas eine Gestalt geben, etwas formen bzw. bilden“. Informationen können also die Kräfte sein, die nach Goldscheider die Substanz (Materie?) formen. Neben den Begriffen Materie und Energie gehört der Begriff Information in der Kybernetik als dritte Größe zum Verständnis des Lebenden dazu, worauf Norbert Wiener hingewiesen hat. 10) Norbert Wiener hat auch auf den immateriellen Aspekt von Information hingewiesen: „Information ist Information, weder Materie noch Energie“.

Dabei kann Information eigentlich alles sein: sogar das Nichts; denn auch einer Auslassung bzw. einer Lücke in der Kommunikation kann in einem bestimmten Kontext Bedeutung zugesprochen werden. Wenn der Arzt während einer Untersuchung (z. B. beim Sonographieren) länger als ein paar Sekunden schweigt, kann gerade dieses Nichtsprechen vom ängstlichen Patienten mit einer negativen Bedeutung aufgeladen werden. Veränderungen in der Stimme oder im Blickkontakt erzeugen ebenfalls Bedeutung. Alles kann zu jeder Zeit bedeutungsvoll sein, auch wenn es explizit nicht ausgedrückt wird. Aus der medizinischen Praxis ist daher gut bekannt, dass man alleine durch eine Information bzw. das Weglassen einer solchen jemandem helfen und unterstützen bzw. der Heilung einen Impuls geben oder aber ihm schaden, d.h. Heilung verhindern oder sogar Krankheit erzeugen bzw. den Tod herbeiführen kann.

Abschließend möchte ich noch einmal zusammenfassen, dass sich die antike Heilkunst sowie die Barfußmedizin auf der einen Seite und die moderne Schulmedizin auf der anderen Seite hinsichtlich ihrer grundlegenden Haltung und ihrem Verständnis von Heilung fundamental voneinander unterscheiden. Die Logik der modernen Schulmedizin ist eine Logik der Machbarkeit. Sie tritt – so der Philosoph Christoph Quarch 11) – mit dem Anspruch auf, es besser zu machen als die Natur, bzw. die Fehler der Natur zu beheben: Sie repariert, entwickelt Ersatzteile und entfernt das, was stört. Im Vergleich dazu ist das Besondere der Barfußmedizin bzw. der antiken Heilkunst, dass zu ihrem Wesen das „Wiederherstellen von Gleichgewicht“ gehört: Sie strebt ein Wiederherstellen des natürlichen Gleichgewichts des Lebens durch Heilreize (Informationen) an. Heilkundige versuchen dabei, den kranken Menschen dazu anzuregen, wieder Ordnung in das Leben zu bringen. Das Ziel der antiken Heilkunst und eben auch der Barfußmedizin heute ist es eigentlich nur, die Selbstregulation zu unterstützen, sie wieder in Gang zu bringen, Selbstheilung anzuregen und damit zu einer Ausbalancierung und zu einer Harmonisierung beizutragen. Das geht durchaus auch ohne aufwendige Hilfsmittel – vor allem über Bewusstsein und Informationen.

Der Heilkundige der Antike bzw. der Barfußarzt heute ist sich in seinem Handeln natürlich bewusst, dass Heilung am Ende nie sein eigenes Werk ist: Nicht der Arzt heilt, sondern die Natur. Der Arzt ist Unterstützer, er ist Impulsgeber, er ist so etwas, wie ein Geburtshelfer. Bei Platon ist daher ja auch von einer mäeutischen Funktion der Heilkunde die Rede. Eine Hebamme erledigt den Prozess der Geburt ja nicht selbst, sondern sie unterstützt die Gebärende im Geburtsprozess. Und so wäre dann der Barfußarzt vielleicht am ehesten so etwas wie ein Begleiter oder eine Art Navigator für den hilfesuchenden Menschen.

Die Heilkraft der Natur: Die Mittel der Natur nutzen!

Erwin Liek 12) hat darauf hingewiesen, dass es Ansätze von Heilkunst bereits bei Tieren gibt: sie lecken sich ihre Wunden, fasten und ruhen – fressen sogar bestimmte Pflanzen, um wieder in die Balance zu kommen. Neben der soeben beschriebenen grundlegenden Haltung können Barfußärzte in einer angenommenen Notsituation daher auch die Heilkräfte nutzen, die die Natur uns von sich aus schenkt. Deren Möglichkeiten sind seit der antiken Medizin gut bekannt und eigentlich immer zugänglich. Die antike Medizin verfügte in dieser Hinsicht über eine entwickelte Diätetik, d.h. eine ganzheitlich ausgerichtete Lebenskunst sowohl zur Gesunderhaltung als auch für Zwecke der Heilung von Krankheiten. Bereits im „Corpus Hippokratikum“ finden sich Hinweise auf Heilreize, deren Ziel es jeweils war, wieder ein Gleichgewicht bzw. Harmonie herzustellen. Dies kann u.a. durch die folgenden natürlichen Mittel geschehen:

  • Licht und Luft
  • Speise und Trank
  • Arbeit und Ruhe
  • Schlaf und Wachen
  • Ausscheidungen und Absonderungen

In der Geschichte der Medizin entwickelten sich daher schon sehr früh Hydrotherapie und Balneologie, physikalische Therapie und manuelle Medizin, aber auch die Phytotherapie. Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie Atemtherapie und Heilschlaf (in der Antike auch als Tempelschlaf bekannt) gehörten ebenfalls in das Repertoire der antiken Heilkunst. Sie wurden ergänzt durch Maßnahmen der Diätetik, die sich an eine Anregung des Gemütes und an das Wiederherstellen des psychischen Gleichgewichts orientieren. Zu diesen Maßnahmen, die freilich schon eher in den Bereich der Kultur übergehen, gehören u.a. Meditation und Gebet, kreative Verfahren (Kunst, Musik), Sprache und Kommunikation insbesondere im Rahmen der sogenannten somatischen Rhetorik, die als eine frühe Form der Psychotherapie angesehen werden kann. 13)

In der modernen Naturheilkunde werden die genannten Maßnahmen, die ja auch in einer Notsituation immer zur Verfügung stehen, als Ordnungstherapie oder als Regulationsmedizin bezeichnet. Sie erfassen den gesamten Lebensstil und reichen von der Körper- bis zur Psychohygiene. Vinzenz Prießnitz, einer der Begründer der modernen Naturheilkunde, hat vor diesem Hintergrund die Essenz der Naturheilkunde in einem Satz zum Ausdruck gebracht: „Nicht im Rezept liegt das Heil. Es liegt in der Summe der täglichen Lebensführung.“ 14) Sebastian Kneipp ging sogar noch einen Schritt weiter. Ihm reichte die „Ordnung im Leben“ nicht aus, wenn es um Heilung geht. Seine Erfahrungen drückt er in dem folgenden Satz vortrefflich aus: „Erst als ich daran ging, Ordnung in die Seelen meiner Patienten zu bringen, hatte ich vollen Erfolg.“ 15)

Behandlungen mit den reichhaltigen Mitteln der Natur, mit Hilfe der Kommunikation und Sprache sowie schließlich durch Seelsorge sind wichtige Grundlagen einer ganzheitlichen Heilkunde und stehen dem Barfußarzt immer zur Verfügung – auch in Notzeiten.

Tauchen wir gemeinsam ein in das mentale Szenario eines langanhaltenden Stromausfalls: schnell wird uns bewusst, welch minimale – zugleich jedoch elementare Möglichkeiten uns bleiben; auch in puncto dann noch mobilisierbarer Heilkräfte.

Abdruck für den ENB mit freundlicher Genehmigung der LOGON. media (Erstveröffentlichung)
LOGON, 2020, Heft 4, Seiten 30-37

In der April-Ausgabe des „Naturarztes“ setzen wir die „Gedanken zur Natur- und Kulturheilkunde“ von Professor Dr. Schröder fort mit den Themen „Die Heilkraft der Kultur“ und „Das Wunder in unserem eigenen Selbst“. Und schließlich wollen Sie ja sicherlich wissen, was es mit dem Segeln und dem Außenbordmotor auf sich hat.

 

Mehr zu diesem Thema finden Sie im Beitrag „Die zeitlose Botschaft der Heilkunst“

 

Prof. em. Dr. Hartmut Schröder

  • Studium der Sozialwissenschaften, Universität Duisburg und Universität Bielefeld
  • Postgraduiertes Studium an der Staatlichen Universität Moskau
  • Promotion in Linguistik an der Universität Bielefeld
  • Venia legendi in Angewandter Linguistik an der Universität Joensuu in Finnland
  • Professor für Angewandte Linguistik und Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaften an der Universität Vaasa
  • Professor für Sprachgebrauch und Therapeutische Kommunikation an der Europa-Universität Viadrina
  • Fort- und Weiterbildung in Katathymes Bilderleben und Imaginative Körper-Psychotherapie
  • Ausbildung als Entspannungstherapeut/Entspannungspädagoge, Yogalehrer Ernährungstherapeut, Musiktherapeut/Klangtherapeut, Hypnocoach

 

1) Online: https://de.wikipedia.org/wiki/Barfußarzt
2) Axel Haverich: Ausblick auf die Medizin im Jahre 2030. In: Forschung & Lehre 12/2016, S. 1050-1051.
3) David Metcalfe, Ritam Chowdhury, Ali Salim: What are the consequences when doctors strike? In: BMJ 2015; 351. Online: https://doi.org/10.1136/bmj.h6231.
4) Werner Bartens: Schaden Ärztestreiks den Patienten? In: Süddeutsche Zeitung, 25.11.2015. Online: Schaden Ärztestreiks den Patienten? Online: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/medizin-schaden-aerztestreiks-den-patienten-1.2753746.
5) Online: https://www.choosingwisely.org.
6) Online: https://www.klug-entscheiden.com.
7) Online: https://www.aerztezeitung.de/kooperationen/pro_dialog/article/934069/studie-ueberversorgung-nicht-nur-usa-problem.html.
8) Ivan Illich: Die Nemesis der Medizin. Die Kritik der Medikalisierung des Lebens. München 1995: Verlag C.H. Beck.
9) Zitiert bei Erwin Liek, Das Wunder in der Heilkunde, München 1930.
10) Norbert Wiener: Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine. Cambridge. MIT Press 1961.
11)Christoph Quarch: Gesund ist, wenn die Seele stimmt. Heilung als die Kunst, den Leib in gute Stimmung zu versetzen. Unveröffentlichtes Manuskript (2012).
12) Erwin Liek, Das Wunder in der Heilkunde, München 1930, 192, S. 56
13)Christoph Quarch und Hartmut Schröder 2018.
14)Online: https://www.naturheilbund.de/der-dnb/125-jahre-deutscher-naturheilbund-e-v/.
15) Online: https://kneipp-verein-spiesen.de/kneipp-philosophie/.